Kapitel 1
Und Vivi traut sich doch. Leider, denke ich.
Die anderen stehen unten und glotzen und grinsen. Einen halben Meter sind sie schon entfernt. Einen halben Meter nur, aber über den kann ich nicht hinweg, würde ich jetzt einen Rückzieher machen, wäre ich verloren. Mach’s nicht so dramatisch, Vivi, sag ich mir. Du wärst das Gespött deiner Clique, na und? Wenn du das nicht willst, musst du da eben durch. Stolz hat seinen Preis oder wie heißt das noch? Ich reibe die schwitzenden Hände an den Jeans ab. Ruhig bleiben jetzt, die anderen haben’s auch überlebt. Dieser Sprung ist nicht mehr als der erste Hopser vom Dreimeterbrett in der Grundschule. Läppisch, wenn man nicht gerade so blöd ist und ’nen Bauchplatscher hinlegt.
Der Typ mit den Rastalocken sagt etwas Aufmunterndes zu mir.Fun and action steht auf seinem T-Shirt. Normalerweise sind das die zwei Zauberworte, die mich vom Hocker reißen können. Aber in diesem Moment würde ich lieber freiwillig mit meinen Eltern in ein dreistündiges Klassikkonzert gehen und vor Langeweile Löcher in den Sitz pulen, als mit dem Rastalockigenfun and action auszuprobieren.
Hilfe, was macht dieser durchgeknallte Mensch jetzt eigentlich mit mir? Er schnürt mich ein, als wollte er mich als Weihnachtspäckchen verschicken. Mit riesigen Karabinerhaken klickt er mich vorn und hinten fest und da liegt schon das Seil aufgerollt in der Kabine, eine lange weiße Schlange, an der gleich mein ganzes Leben hängt, einfach so. Ich darf gar nicht daran denken und blicke schnell zu meinen Freunden. Oliver sieht’s, hebt kurz den Daumen und wirft mir eines seiner lausigen Lächeln zu. Ich verziehe den Mund. Los, Vivi, frech zurücklächeln, wie Olli es macht, au Mann, ich fahre voll auf dieses Ollilächeln ab, es macht mich elektrisch, obwohl ich es nicht will. Nichtmehr will, denn Oliver war mein Freund. Bis gestern. Das macht ja die ganze Sache so kompliziert, dass er dabei ist, meine ich, wäre er jetzt nicht hier, könnte ich vielleicht in letzter Minute aus diesem Gondelgefährt raushechten und das Weite suchen. Doch vor Oliver blamiere ich mich nicht – nicht, nachdem alle anderen aus meiner Clique schon gesprungen sind. Oh Gott – jetzt ruckelt die Kabine und wir heben vom Boden ab!
Ich klammere mich am Geländer fest und sehe zu, wie meine Freunde unten langsam kleiner werden.
Bestimmt reden sie miteinander, reißen blöde Witze wie vorhin:
»Vivi hat Schiss!«
»Hahaha. Ich hab einfach kein Interesse daran. Was dagegen?«
»Ach Vivi, red doch nicht! Du hast die Hosen voll, ganz klar. Das ist die Gelegenheit, Mann, die kann man doch nicht auslassen. Heute ist der letzte Tag hier, und wenn’s nicht die ganze Woche geregnet hätte, hätten die bestimmt nicht so gute Preise gemacht. Einen Sprung für fünfzig Euro, wo kriegst du den schon?«
»Es geht nicht ums Geld.«
»Wusste ich doch, dass du dich nicht traust!«
»Vielleicht beim nächsten Mal. Mir ist schon in der Achterbahn sauschlecht geworden!«
»Hättest