1
»Oh, Frau Möninghaus, guten A-ha-bend! Frau Möninghaus, unseren Haus-Apéro, den müüüssen Sie probieren«, Gerd Möninghaus äffte den Kellner nach, der eben mit der Bestellung verschwunden war. Silke Möninghaus studierte derweil teilnahmslos die Stuhlbeine am Nachbartisch. »Frau Möööninghaus, auch einen Apéro für Ihren Gatten?«, flötete Gerd Möninghaus, der sich noch nicht so richtig an die seltene Rolle als Begleiter seiner Frau gewöhnt hatte.
»Gerd. Ich hatte mich auf diesen Abend gefreut.«
Möninghaus rückte sich gerade und fand die eigene Stimme wieder: »Ist doch wahr, dieses alberne Getue ist unerträglich«, er blickte mürrisch hinauf zu den funkelnden Kronleuchtern, studierte die Gobelinstickereien auf den schweren Wandbehängen: »Gott, da kriegt man ja schon vom Hinsehen eine Hausstauballergie, das ist ja alles uralt hier.«
»Ja, Gerd. Mit alten Sachen kennst du dich ja aus. Aber der Küchenchef, der ist neu und darum sitzen wir hier, weil meine Leserinnen das interessiert, und der Verlag bezahlt auch dein Essen, also verwöhne die Welt mit deinem schönsten Lächeln, sie ist gut zu dir.«
Der Kellner erschien und servierte den Aperitif: »So, da haben wir unseren Mandarinen-Espuma, Frau Möninghaus, mit Wodka und Wakame-Algen, getoppt mit Osietra-Kaviar Malossol und Mandarinenfruchtfleisch. Sehr zum Wohlsein.«
Silke Möninghaus ergriff ihr Cocktailglas, prostete ihrem Mann mit einem breiten Grinsen zu, beugte sich dann nach vorn und flüsterte: »Und überhaupt, da kannst du mal nachfühlen, wie mir das immer geht, wenn ich ständig den großen Kunstexperten Gerd Möninghaus zu seinen furzlangweiligen, achsowichtigen Vernissagen begleiten muss. Da gibt es dann warmen Sekt, immer diese nervig laute Disko-Bums-Mucke und pro Gast ein halbes Räucherlachs-Canapé mit versalzenem Discounterlachs auf fitzelig dünnen Papierservietten serviert, deren erste Lage sich immer schon mit der Mayonnaise vermählt hat. Papierservietten muss ich essen, wenn ich dich begleite, Gerd, Papierservietten!« Silke Möninghaus nickte abschließend, sie lächelte jetzt nicht mehr, hob das Glas zum Mund, und Kaviarperlen und Algenhäutchen verschwanden zwischen ihren signalrot geschminkten Lippen. »Wir könnten uns ja heute Abend auch mal unterhalten, über deine Tochter zum Beispiel.«
»Und was macht die so?«, fragte Möninghaus müde.
Zu seiner Überraschung kramte seine Frau jetzt die aktuelle Ausgabe des Frauenmagazins hervor, dessen Chefredakteurin sie war, blätterte energisch im Heft und wurde im Reiseteil der Zeitschrift fündig. Sie reichte ihm das aufgeschlagene Heft, ihr roter Fingernagel markierte ein kleines Bild am Ende eines Beitrags über Das junge Ibiza – die schönsten Wohlfühlresorts. Gerd Möninghaus studierte das Foto lange, las die Bildunterschrift mehrmals: Relaxte Chillout-Sounds serviert DJane Mika zum Sundowner an der Strandbar. Auf dem Foto war eine junge Frau hinter einem Tresen mit zwei Plattenspielern zu sehen, sie trug einen übergroßen Kopfhörer und blickte ernst auf das Mischpult zwischen den Plattentellern, unter ihrem rechten Arm klemmte eine Schallplattenhülle. Er ging mit dem Gesicht ganz nah heran an das Bild, kniff die Augen zusammen, entzifferte die Schrift auf dem Albumcover: Facing the sun, stand da.
Er blickte hoch und sah fragend seine Frau an: »Aber Michaela heißt doch Michaela.« Gerd Möninghaus leerte das Cocktailglas mit einem Zug, schauderte, strich sich beiläufig über die Lippen. »Und warum sind denn bitte ihre Haare blau?« Aber sie war es, eindeutig. Seine Tochter. Michaela Möninghaus. Eigentlich Hotelfachfrau in Ausbildung, im Luxusresort Aguas de Ibiza. Jetzt aber wohl DJane an der Strandbar, Möninghaus beugte sich abermals hinab zu Foto und Artikel, einer der schönsten Sunsetbars Ibizas. Mit blauen Haaren. »Konntest du das nicht verhindern?«
»Ich dachte, wenn ich nichts sage, merkt’s vielleicht keiner in der Redaktion, schlafende Hunde soll man ja … und so war’s dann auch, Glück gehabt.« Silke Möninghaus lachte kurz und künstlich, griff zum leeren Cocktailglas, blickte sich dann suchend nach dem Kellner um.
»Was haben wir nur falsch gemacht?«, fragte Gerd Möninghaus die geleerten Gläser vor sich.
Dann bemerkte er erstmals den