1. KAPITEL
Der warme Juniwind zerzauste Ben Kerrigans dunkelblondes Haar, als er eine Hand hob, um an die Tür des rustikalen zweistöckigen Hauses am Stadtrand von Hades in Alaska zu klopfen. Es war das Haus, in dem er aufgewachsen war, das er aber eines frühen Morgens vor sieben Jahren überstürzt verlassen hatte.
Er stand schon eine ganze Weile auf der Veranda und hatte sich bereits zweimal bemerkbar machen wollen. Doch er hatte das verwitterte Holz nicht berührt, sondern die Hand sinken lassen, als wäre all seine Energie versiegt.
Dabei war er sonst alles andere als feige.
Die meiste Zeit seiner vierunddreißig Jahre war er glatt durchs Leben gesegelt. Natürlich hatte es auch heftige Stürme gegeben, und er hatte Fehler gemacht, sogar viele. Er war der Erste, der es zugab. Aber irgendwie hatte er es immer geschafft weiterzusegeln, und immer hatten sich alle Wogen wie durch Zauberhand geglättet.
Ein reuiges Lächeln umspielte seine Lippen, während er auf die Tür starrte. Dass immer alles gut ausgegangen war, hatte er hauptsächlich seinem älteren Bruder Shayne zu verdanken, der ihn nach dem Tod ihrer Eltern aufgezogen hatte. Shayne hatte hart gearbeitet, um Ben das Medizinstudium zu ermöglichen, damit sie zusammen die kleine Arztpraxis betreiben konnten – die einzige in einem Umkreis von hundert Meilen. Shayne war auch immer zur Stelle gewesen, um die Scherben aufzusammeln und zu regeln, was zu regeln war.
Seit sieben Jahren hatten sie sich nun nicht mehr gesehen und auch nichts voneinander gehört. Damals war Ben mit Lila durchgebrannt, denn sie hatte nur unter der Bedingung eingewilligt, ihre kurz zuvor gescheiterte Beziehung wieder aufzunehmen, dass er Hades mit ihr verließ. Also hatte Shayne allein das große Arbeitspensum in der Praxis bewältigen und dazu noch seine beiden Kinder versorgen müssen, die durch den plötzlichen Tod seiner Exfrau bei ihm eingezogen waren, nachdem er sie von deren Geburt an nicht hatte sehen dürfen.
Und dann war da noch die Frau, die auf Bens Betreiben hin nach Hades gekommen war, um ihn zu heiraten. Diese Bekanntschaft war durch einen Leserbrief von ihr zu einem Artikel über Alaska zustande gekommen, den er in einem Reisemagazin veröffentlicht hatte. Er hatte ihr persönlich geantwortet, und daraus war eine Brieffreundschaft entstanden. Sie hatten Fotos ausgetauscht, aber sie waren sich nie begegnet, bevor er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte – eigentlich aus reiner Verzweiflung, weil ihm zu dem Zeitpunkt eine Wiederaufnahme der gescheiterten Beziehung zu Lila unmöglich erschienen war.
Rückblickend sah Ben ein, dass er wie so oft ungestüm gehandelt hatte. Dieses Wort beschrieb ihn besser als jedes andere. In den vergangenen Jahren hatte er sich jedoch bemüht, sich zu ändern. Vor allem, seit Lila ihn zum zweiten Mal verlassen hatte.
Unbehaglich trat er von einem Bein auf das andere, aber er blieb vor der Haustür stehen. Er wusste, dass er anklopfen musste, aber er konnte es noch nicht über sich bringen.
Nach seinen bitteren Erfahrungen mit Lila hatte er dazugelernt. Er hatte endlich begriffen, was selbst jahrelange Vorhaltungen von Shayne nicht vermocht hatten: Dass er wesentlich verantwortungsbewusster werden musste.
Ben hatte tatsächlich hart an sich gearbeitet, und er hatte sich geändert. Er war in Seattle geblieben und hatte sich in einer sehr lukrativen Arztpraxis etabliert. Die Arbeit mit seinen drei Partnern hatte ihm fast alles gegeben, was er sich nur wünschen konnte.
Alles außer einem wirklichen Glücksgefühl. Er hatte sich eingeredet, dass es nicht so wichtig sei, doch mit jedem weiteren Monat, der verging, wuchs eine unbehagliche innere Leere.
Und auch all die Frauen, die ihn ein kurzes Stück durch sein Leben begleitet hatten, änderten nichts daran. Traurigerweise waren sie für ihn austauschbar geworden. Ihre Gesichter hatten bei ihm keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und noch etwas bedrückte ihn: Er hatte erkannt, dass es mehr im Leben gab.
Inzwischen kam Ben sich vor wie die Hauptfigur in der „Ballade vom alten Seemann“ von Coleridge: Obwohl er nach außen hin den Sonnyboy spielte, war er innerlich ein anderer Mensch, der für seine Missetaten büßen musste, der Frieden suchte.
Und dann, eines Abends, hatte er den Grund für seine innere Unruhe gefunden – und möglicherweise auc