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Ein Nachmittag am See
Táan musterte Kates Rücken, während sie vor ihnen den kleinen Waldweg entlangging. Der See war ganz nah. Táan konnte das Wasser schon riechen und die Holzkohle eines Grills, auf dem Würstchen brutzelten. Ein Sommernachmittag wie gemalt und eigentlich perfekt, um für ein paar Stunden in der Sonne zu liegen und das Leben einfach zu genießen – wären da bloß nicht die düsteren Wolken über ihnen gewesen. Denn auch wenn für alle anderen der Himmel noch immer strahlend blau und die Luft sommerlich leicht war, wusste Táan, dass auch Kate die Schatten auf der Haut spürte. Fast tat es ihm leid, dass er ihren Tag so zerstören musste. Aber dann auch wieder nicht. Sie verdiente sein Mitleid nicht. Sie hatte das Wichtigste gestohlen, was sein Stamm besaß. Was immer heute geschehen mochte, hatte Kate sich selbst zuzuschreiben.
Kate hielt sich kerzengerade, ihre Schritte waren so steif, dass sie staksig wirkten wie die eines Reihers auf Froschfang. Überhaupt schien nicht viel von dem Mädchen übrig geblieben zu sein, an das Táan sich erinnerte.Fräulein Furchtlos hatte ihr Vater sie immer genannt. Und Táan hatte Fräulein Furchtlos damals sehr gemocht. Das Mädchen aber, das er jetzt vor sich hatte, war ein ganz anderer Mensch. Distanziert, abweisend. Verkrampft. Táan war sich nicht sicher, ob er enttäuscht oder erleichtert darüber war. Eine Kate, die ihm unsympathisch war, machte vieles einfacher.
Trotzdem ertappte er sich dabei, wie sich ein Lächeln in seine Mundwinkel stahl, als er daran dachte, wie er einen Blick auf ihre Fußsohlen erhascht hatte, während sie sich die Sandalen anzog. Nackt und schwarz vor Schmutz. Eine Kiefernnadel aus dem Wald klebte darunter, aber sie schien sich daran überhaupt nicht zu stören. Es hatte sich wohl doch nicht alles geändert.
Neben Táan räusperte Sigai sich leise. Natürlich. Táan konnte vor seinem Zwilling nichts verbergen, ob er es nun versuchte oder nicht. Und Sigai, das wusste Táan, hatte das Lächeln gesehen und war alles andere als begeistert. Im Gegenteil. Schon auf dem Flug hierher hatte er ihn gewarnt: Sie waren hier, um die Schuld wiedergutzumachen, die Táan auf sich geladen hatte. Für nichts anderes. Und dieser Gedanke ließ das Lächeln verblassen, noch ehe es richtig in Táans Herzen ankommen konnte.
Wir spielen ihr Spiel fürs Erste mit, hatte Sigai vorgeschlagen, nachdem Kate so überstürzt aus der Küche ihrer Eltern geflüchtet war.Wenn wir ihre Freunde kennenlernen, lernen wir auch sie kennen. Dann fällt es uns vermutlich leichter, sie zu überzeugen.
Es lag nicht in Táans Art, so berechnend zu sein. Aber er musste zugeben, dass die Argumente seines Bruders logisch klangen – abgesehen davon, dass es sich undankbar anfühlte, Sigai zu widersprechen. Immerhin hielt der ihm gerade entgegen seiner eigenen Überzeugunge