Kapitel 1
Als Erstes kam ein Rudel Rotwild. Hochgemacht von den Hunden im Feindlichen, rauschte es durch das Buchenlaub heran und kreuzte den Grenzweg. In der Schlehenhecke teilte sich das Rudel wie ein Bach in felsigem Bett, wand sich durch das Gebüsch und strömte dann wieder zusammen. 50 Stücke, vielleicht auch mehr. Alttiere mit ihren Kälbern, Schmaltiere, hier und da die Spieße eines Junghirsches. Hannes Schreiber hatte noch nie so viel Rotwild in freier Wildbahn gesehen. Was für ein Anblick!
Ein Pulk rotbrauner Leiber, Träger, Häupter, dicht gedrängt wie das Hauptfeld der Tour auf einer Flachetappe. Nicht zu schießen, wenn man nicht mitten in den Pulk halten wollte. Was kein anständiger Jäger machte.
Schreiber konzentrierte sich auf das Ende des Rudels, hoffte auf einen Bummelanten oder ein Kalb, das den Anschluss verloren hatte. Niemand tat ihm den Gefallen. Angetrieben vom Tempo, das das Leittier vorgab, hasteten alle vorbei. Kein Wasserträger am Ende des Feldes, kein mit Defekt zurückgefallenes Tier. So schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand das Rudel hinter einer Kuppe im Altholz.
Keine Minute hatte der Spuk gedauert. Jetzt war er vorbei. Stille. Sogar der Wind gab Ruhe. Hannes kraulte seinen Hund, der neben ihm auf der Hochsitzbank stand und vibrierte wie ein stummgeschaltetes Handy.
„Ist ja gut, Smokie. Vielleicht kommt noch was. Dann schieß’ ich auch. Versprochen.“
Der Terrier hielt den Kopf mit den Kippohren schief und dachte nach. Jedenfalls sah er so aus. Früher hätte sich Schreiber jetzt eine angesteckt. Aber er hatte das Rauchen eingestellt, als sein Sabbatjahr begann. Also kramte er die Bonbonschachtel aus dem Rucksack und steckte sich eins in den Mund. Limette-Ingwer. Musste auch gehen. Smokie stellte das Zittern ein und legte sich wieder hin.
Der Rehbock, der als Nächster kam, floh auf seine Art aus dem Treiben. Er überflog den Grenzweg, verhoffte kurz in den Schlehen und zog dann, immer wieder nach hinten sichernd, spitz auf Schreiber zu. Kein