Wir beginnen das neue Tertial mit einem überpünktlichen Frühstart. Schon eine Viertelstunde vor Dienstbeginn schlagen wir unsere Spinde zu und verlassen mit frisch gestärkten Kitteln den Umkleideraum. Nicht aus Pflichtgefühl – es ist, als könnten wir es alle drei kaum erwarten …
Isa verabschiedet sich mit Küsschen und muss nur noch ein Mal versichert kriegen, dass sie auch ohne uns bestens mit der straffen Dr. Thiersch und ihrem rigorosen Regiment zurechtkommen wird. (Wenn man ehrlich ist und sich ganz, ganz kurz das letzte Vierteljahr ins Gedächtnis ruft, wird sie es ohne uns wohl sogar leichter haben.) Wir verabreden uns für die Mittagspause oder spätestens für den Feierabend, dann trennen sich unsere Wege.
»So«, Jenny reibt sich die Hände, als wir den Seitenflügel der Gynäkologie betreten, »dann wollen wir mal ein paar Babys zur Welt bringen!«
Nun, ganz so schnell geht es leider nicht. Zuerst kommt die uns schon bestens vertraute Vorstellung. Wir bauen uns brav am Empfangstresen auf und nennen der diensthabenden Schwester unsere Namen. Schwester Evelyn trägt eine Hochsteckfrisur, die Stunden gekostet haben muss, und dunkelroten Lippenstift. Überhaupt wirkt sie, als könnte sie auch den Empfang eines Hotels leiten. Eines sehr teuren Hotels. Ihr Tresen ist glänzend weiß und mustergültig aufgeräumt. »Willkommen«, nickt sie und lächelt unverbindlich, als sie unsere Namensschilder über den Tresen schiebt und uns die Logbücher aushändigt. Genauso gut könnte sie uns Zimmerschlüssel und Stadtpläne überreichen. Dann zückt sie einen Stationsplan und erklärt uns mithilfe eines geschlossenen Fineliners den Aufbau der Gynäkologie.
Arztraum, geburtshilfliche Abteilung, Kreißsäle, Frühgeborene, Wöchnerinnen, allgemeine Gynäkologie. Der Fineliner zieht Kreise, ohne Spuren auf dem Papier zu hinterlassen, und tippt dann ein Stakkato auf dem Arztraum. »Jetzt melden Sie sich bitte hier.«
Ich bedanke mich und greife nach dem Blatt, doch Evelyn hält es entschlossen fest. »Tut mir leid, das ist mein Exemplar.« Hä? Sie zieht zwei identische Pläne unter dem Tresen hervor und schiebt sie uns zu. Ich kann zwar keinen Unterschied zwischen ihrem und meinem erkennen, aber bitte. »Viel Erfolg bei uns!«, lächelt sie und macht eine Stewardessengeste in Richtung Arztraum. Damit sind wir entlassen.
Jenny und ich schlendern grinsend davon. »Moneypenny«, zwinkert Jenny mir zu. »Sie glaubt wohl, sie managt die Chefetage von Sony.« Meinen Vergleich mit dem Hotelempfang findet sie noch treffender.
Wir passieren die Büros der Stationsärztin und der Oberärztin (ich habe zum ersten Mal kein mulmiges Gefühl, wenn ich das Wort »Oberarzt« lese!) und finden den Arztraum.
Hinter dieser Tür beginnt ein Babywunderland. Alle Wände sind übervoll behängt mit Geburtsmeldungen, Babyfotos, Dankeskarten. Babys in Stramplern, nackte Babys, mit Mutter und ohne, schlafende, schreiende und gähnende Babys. Selbst gebastelte Karten und Photoshop-Arbeiten, quietschbunte und schwarz-weiße.
»Mann, Mann, Mann«, japst Jenny überfordert, »die ganze Wand ist nur von DIESEM JAHR!« Das sind mindestens 40 Bilder.