: Honoré de Balzac
: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken Die schrägen Typen der Journaille
: Manesse
: 9783641196752
: 1
: CHF 14.10
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: Erzählende Literatur
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Journalisten? Hohle Schwätzer und vorlaute Kläffer! Zeitungsmacher? Elende Opportunisten! Kritiker? Perfide Ignoranten! Für Balzac waren Presseleute so ziemlich das Letzte. In seinem Bestiarium der Pariser Journaille, hier erstmals ins Deutsche übersetzt, wagt der Autor einen satirischen Rundumschlag - respektlos, böse und herrlich einseitig.

Die Herren von der schreibenden Zunft haben in Balzacs Augen samt und sonders etwas maliziös Wankelmütiges, sind offen korrupt oder von eherner Prinzipienlosigkeit. Angelehnt an die zoologische Artenbestimmung knöpft er sich in seiner Typenlehre nun sämtliche Gestalten der Pressewelt vor: den Leitartikler, den Vulgarisator, das Faktotum, den Lobhudler, den Monothematiker, den Sektierer, den Mann fürs Grobe und was sonst alles über die Flure von Zeitungsredaktionen kreucht und fleucht. Die kritische Inventur des modernen Journalismus ist ein origineller Sidekick in der aktuellen Debatte um die Rolle der Medien. Ergänzt wird die heitere Philippika durch Balzacs Appell an Schriftsteller, ihr Urheberrecht zu verteidigen.

Honore de Balzac (1799-1850), eigentlich der Generation der Romantiker angehörend, bildet zusammen mit Stendhal und Flaubert das große Dreigestirn der französischen Realisten. Ruinöse Unternehmungen als Verleger und Spekulant sowie sein hemmungslos verschwenderischer Lebensstil stürzten Balzac schon in jungen Jahren in gewaltige Schulden und zwangen ihn zeitlebens zu rastloser literarischer Arbeit. Seine fast hundert Titel umfassende, als universelles Sittengemälde seiner Zeit angelegte 'Comédie humaine', ist Geniestreich der Selbstvermarktung und virtuoses Monumentalwerk der Weltliteratur in einem.

Der Charakter des Kritikers ist seinem Wesen nach insofern bemerkenswert, als in jedem Kritiker ein verhinderter Schriftsteller steckt. Da er selbst zur Schöpfung nicht taugt, wirft er sich zum Haremswächter auf, und unter diesen Haremswächtern stößt man hie und da auf einen Narses und einen Bagoas. Gemeinhin hat der Kritiker damit angefangen, Bücher zu veröffentlichen, in denen er vielleicht sein Französisch unter Beweis hat stellen können, die aber weder Dramaturgie noch Charaktere bieten, Bücher bar allen Interesses.

Früher waren Ausbildung, Erfahrung und lange Studien erforderlich, um den Beruf des Kritikers zu ergreifen; man übte ihn erst im fortgeschrittenen Alter aus; doch heutemachen wir das allesanders, wie es Molière ausdrückt.34 Es hat Kritiker gegeben, die sich auf Anhieb als solche etabliert haben und die, da sie trotz Kenntnis der Spielregeln nicht spielen durften, gleich anfingen, diesen Beruf auszuüben. Der junge Mann von zwanzig Jahren urteilt kreuz und quer drauflos (sieheDerjunge blondeKritiker). Außerdem hat die Kritik ihr Wesen geändert. Es geht nicht mehr darum, Gedanken zu haben, man legt mehr Wert auf eine bestimmte Ausdrucksweise, die in Beleidigungen gipfelt. Den Kritiker unserer Tage verkörpert die Figur des Bertrand in der schrecklichen Farce mit dem TitelRobert Macaire.35 Als Monsieur Gogo, der Aktionär, nach Abrechnungen verlangt, erhebt sich Bertrand und sagt: «Zuerst mache ich mal darauf aufmerksam, dass Monsieur Gogo eine Kanaille ist!» Heute fängt man da an, wo die Gelehrten vergangener Zeiten – leider! – manchmal aufhörten. Es sieht so aus, als sei eine Beleidigung schon immer das beste aller Argumente gewesen.

Heute, da alles seinen Auftritt hat, ist die Kritik eine Art gedanklicher Zollstation für Bücher und buchhändlerische Unternehmungen geworden. Entrichten Sie die Abgaben, so dürfen Sie passieren. Freundlich gegenüber Dummheit und Dilettantismus, nimmt die Kritik ihre neunschwänzige Peitsche erst zur Hand, setzt sie das Horn der Verwünschungen erst an die Lippen, greift sie nach Maske und Florett erst, wenn es sich um große Werke handelt. Sie ist nicht aus der Art geschlagen, sie schätzt ihresgleichen: Sie hätschelt und lobt das Mittelmaß.

Die Kritiker aller Kaliber legen vor allem Wert darauf, als nette Leute zu gelten; sie tun das Böse nicht etwa aus Berechnung, sondern weil es das Publikum liebt, wenn man ihm allmorgendlich drei, vier mit Spott überzogene Schriftsteller darreicht wie Hühnchen am Spieß. Der Kritiker findet es ausnehmend witzig und erlesen, Ihnen die Hand zu reichen und als Ihr Freund aufzutreten, während er Sie mit den vergifteten Nadeln seiner Artikel sticht.

Wenn er Sie in einer Pariser Zeitung preist, verreißt er Sie in London.

Grundsatz

Der Kritiker von heute dient nur mehr einem: dem Kritiker.

a) Der Kritiker von altem Schrot und Korn

Zwei Arten:

  1. Der Akademische
  2. Der Mondäne

Dieser Typus des Kritikers ist dabei, abzutreten, Sie können ihn kaum noch woanders beobachten als imJournal des Savants, in einigen sehr seltenen Artikeln desConstitutionnel, dieser Arche Noah der Altertümlichkeiten, und in ein paar Anthologien, in denen sein dezenter Stil und seine Höflichkeit dieselbe Wirkung erzielen wie die Tanzkunst Mademoiselle Noblets neben Tänzerinnen der neuen Schule, der Essler, der Carlotta Grisi, der Taglioni, die am Horizont aufsteigen wie Meteore.

Dieser Kritiker meint, mit Ideen so verfahren zu müssen wie der Magistrat mit Rechtsstreitigkeiten, und er hat r