EINLEITUNG
JEDERMANN LIEBT COOLE SCHURKEN
Von George R. R. Martin
… auch wenn wir es hinterher manchmal bereuen.
Schurken, Betrüger und Taugenichtse. Nichtsnutze, Diebe, Lumpen und Halunken. Böse Jungs und durchtriebene Mädels. Schwindler, Verführer, Blender, Heuchler, Spitzbuben, Hochstapler, Scheinheilige, Scharlatane, Lügner, Gauner … Sie haben viele Namen und tauchen in allen möglichen Arten von Geschichten auf, in jedem nur erdenklichen Genre unter der Sonne, in Mythen und Legenden … und, oh, natürlich auch quer durch die Erdhistorie. Sie sind die Kinder von Loki, die Geschwister des Coyoten. Manchmal sind sie Helden. Manchmal sind sie Schurken. Meistens jedoch sind sie irgendwas dazwischen, nicht wirklich hell, nicht wirklich dunkel, eher graue Charaktere … und Grau ist schon seit Langem meine Lieblingsfarbe. Grau ist so viel interessanter als Schwarz oder Weiß.
Ich schätze, ich hatte schon immer eine gewisse Vorliebe für Halunken. In meiner Kindheit während der Fünfzigerjahre kam es einem so vor, als bestünde die eine Hälfte des abendlichen Fernsehprogramms aus Sitcoms und die andere aus Western. Mein Vater liebte Western, weshalb ich sie als Kind alle gesehen habe, eine endlose Parade von stoischen Sheriffs und Grenzmarshals, einer heldenhafter als der andere. Marshal Dillon war ein Fels in der Brandung, Wyatt Earp tapfer, beherzt und kühn (was sogar im Titelsong während des Vorspanns besungen wird), und auch der Lone Ranger, Hopalong Cassidy, Gene Autry und Roy Rogers waren heldenhaft, edelmütig und aufrichtig – die perfektesten Identifikationsfiguren, die man sich nur wünschen kann … Leider jedoch kam mir keiner von ihnen wirklich jemals ganz real vor. Meine beiden liebsten Westernhelden waren die, die den üblichen Rahmen sprengten und neue Wege beschritten: Paladin, der sich (wie jeder gute Schurke) schwarz kleidete, wenn er in der Wildnis unterwegs war, aber wie irgendein weibischer Dandy wirkte, wenn er in San Francisco allwöchentlich mit jeweils einer anderen ziemlich attraktiven Dame »Umgang pflegte« (ähem) und seine Dienste für Geld feilbot (Helden scheren sich gemeinhin nicht um Bezahlung); und die Maverick-Brüder (insbesondere Bret), charmante Gauner, die eine besondere Vorliebe für die »Zockermontur« hatten: für schwarze Anzüge, Cowboykrawatten und schicke Westen statt der traditionellen Marshal-Kluft, bestehend aus Jacke, Marke und weißem Hut; vielleicht traf man sie deshalb öfter an Pokertischen an als bei irgendwelchen Schießereien.
Wenn man sich die altenTV-SerienMaverick undHave Gun – Will Travel heute anschaut, stellt man fest, dass sie sich wesentlich besser gehalten haben als die eher traditionellen Western jener Tage. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass die Drehbücher besser sind als bei den meisten der anderen »Pferdeopern« oder die Schauspieler, oder die Regisseure, und damit läge man nicht falsch … Doch ich persönlich glaube, dass hier auch der Schurken-Faktor eine Rolle spielt.
Natürlich wissen nicht bloß die Fans alter Fernsehwestern einen guten Ganoven zu schätzen. Tatsächlich ist der verwegene Schurke vielmehr so eine Art von Charakter-Archetypus, der sich durch alle Medien und Genres zieht.
Clint Eastwood wurde durch die Verkörperung von Figuren wie Rowdy Yates, Dirty Harry und dem Fremden ohne Namen zum Star. Hätte man ihn stattdessen als Goody Yates, Durchschnitt