: Gunnar Decker
: Franz von Assisi Der Traum vom einfachen Leben
: Siedler
: 9783641161231
: 1
: CHF 19,70
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 432
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wer war Franziskus - und was hat der Mann aus Assisi uns heute noch zu sagen?
Die katholische Kirche hat Franz von Assisi und seinen 'Traum vom einfachen Leben' stets für sich vereinnahmt, seine Lebensgeschichte zur Hagiographie umgeschrieben. Dabei hat die Lehre Franz von Assisis eine Strahlkraft, die über konfessionelle Grenzen hinweg wirkt, gerade heute. Gunnar Decker enthüllt den klerikalen Mythos, der sich hinter der Gestalt des Mönchs verbirgt. Und er zeigt, auf welche Weise uns seine Lehre noch immer bewegt.

In Erinnerung an Franz von Assisi hat sich der Jesuit Jorge Mario Bergoglio den Namen Franziskus gegeben - eine richtungsweisende Wahl, zumal keiner seiner Vorgänger im Vatikan diesen Namen trug. Es ist die 'Rückkehr zu den Ursprüngen', mit der der Begründer des Franziskanerordens und 'Anwalt der Armen' nicht nur das 13. Jahrhundert prägte. Sein Ideal machte ein modernes Menschenbild überhaupt erst möglich und bietet in diesen Zeiten, angesichts von Turbokapitalismus und digitalem Überdruss, mehr denn je Halt und Zuflucht. In seiner klugen und kenntnisreichen Biographie zeichnet Gunnar Decker das Wirken Franz von Assisis nach und führt seine Ideale in unser Denken zurück: Oftmals liefert dessen Botschaft Antworten auf die Fragen, die wir heute an das Leben stellen.

Gunnar Decker wurde 1965 in Kühlungsborn geboren, studierte an der Berliner Humboldt-Universität Philosophie und promovierte 1994 über Ketzergeschichte. Er lebt als Autor und Journalist in Berlin, veröffentlichte vielfach gelobte Biographien wie 'Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns' (2009), 'Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten' (2012), 'Franz von Assisi. Der Traum vom einfachen Leben' (2016), 'Ernst Barlach. Der Schwebende' (2019) und 'Rilke. Der ferne Magier' (2023). Ferner erschienen die Geschichtsbücher '1965. Der kurze Sommer der DDR' (2015) und 'Zwischen den Zeiten. Die späten Jahre der DDR' (2020). 2016 wurde er mit dem von der Berliner Akademie der Künste verliehenen Heinrich-Mann-Preis ausgezeichnet.

Franz von Assisi war kein Fanatiker. Er zügelte den Rebellen in sich, weil er wusste, ungerechte Verhältnisse ändern sich nur, wenn sich die Menschen ändern, die diese Verhältnisse als ungerecht erkannt haben. Das ist es, was auch Papst Franziskus, schon als er noch als Bischof in Argentinien war, an ihm faszinierte. Er spürte: Franz von Assisi war kein Sektenführer, der eine Gegenkirche gründen wollte wie die Katharer, ihn trieb nicht der Hass, sondern es trug ihn die Liebe auch durch jene Zeiten, da er sein Lebenswerk bedroht sah. Franz von Assisi selbst geriet in seinen letzten Lebensjahren in einen schweren inneren Konflikt zwischen dem Ideal und der realen Geschichte, nicht nur der seines Ordens. Doch er hielt diesen Widerspruch aus, erduldete ihn nicht nur, sondern bejahte ihn schließlich. Nietzsche würde sechseinhalb Jahrhunderte später für diese Bejahung die Worteamor fati, das Schicksal lieben, finden.

In seiner 2015 erschienenen UmweltenzyklikaLaudato si’ beruft sich Papst Franziskus nicht nur ausdrücklich auf Franz von Assisi, er zitiert auch seinenSonnengesang. Das Credo eines alt gewordenen Mannes, der den Tod als natürlichen Teil des Lebens einerseits freudig bejaht und andererseits diesen Kreislauf des Lebens durch menschliche Fortschrittshybris bedroht sieht? Aber trotz Elend und Müll, die eine Welt grenzenlosen Konsums unaufhaltsam produziert: Bruder Feuer erleuchtet die dunkle Nacht.

Da lebt einer sichtlich gern, besitzt das entscheidende Quäntchen Übermut, das ihn jeden neuen Tag wie ein Geschenk begrüßen lässt. Darum nennen alle frühen Lebensbeschreibungen den jungen Franz von Assisi »lustig«. Er besitzt die Gabe, sein Leben mit angeborener Anmut leicht zu nehmen – und andere zu animieren, es ebenfalls zu tun. Warum darum herumreden: Der junge Francesco offenbart bereits ein gehöriges Maß an Exzentrik. So trifft für ihn bereits der Slogan einer späteren Zeit zu: »Lebe lieber ungewöhnlich!«

Wo Giovanni – zu Deutsch Johannes – Bernadone auftaucht, der den vom Vater nachträglich erhaltenen Namen Francesco – zu Deutsch Franz – bereitwillig trägt, da bekommen alle Dinge wie von selbst ein freundliches Gesicht. Kein Wunder, denn Francesco stammt aus einer der reichsten Familien Assisis, für seine Zukunft ist gesorgt.

Thomas von Celano, der 1228 die erste Lebensbeschreibung verfasste, mag in Francescos Leben vor der Bekehrung nicht mehr als einen fortgesetzten Sündenfall sehen. Assisi ist darin nichts anderes als ein Name für »Babylon« und die jugendlichen Freunde Francescos sind ihm gar ein »Schwarm von Bösewichtern«. Er führt ein bürgerliches Leben als Tuchhändlersohn, der schließlich selbst in des Vaters Laden steht und die Kunden auf überaus einnehmende Weise bedient. Mit seinem Charme verführt er sie zum Kaufen der keineswegs billigen Stoffe. Alle sehen in ihm bereits den geborenen Verkäufer. Er macht diese Arbeit gern, sein Wesen hat etwas Gewinnendes. Es fällt ihm leicht, seine Kunden zu etwas zu bringen, woran sie beim Betreten des Ladens noch gar nicht dachten. In der Mode, der Kunst sich zu schmücken, spiegelt sich der neue Reichtum der Stadtbewohner. Eine flüchtige Kunst gewiss, aber sie hat etwas mit dem Stolz der Bürger zu tun, bestärkt sie in ihrem für das Mittelalter bislang unbekannten Gefühl, es durch eigenen Fleiß und Tüchtigkeit zu etwas gebracht zu haben.

Dieser neue Reichtum besitzt jedoch einen Januskopf, denn er weckt Begehrlichkeiten. So ist Italien um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert ein von erbitterten politischen Verteilungskämpfen überzogenes Land. Vor allem das Papsttum und die deutschen Kaiser führen in Italien Krieg um Einflusssphären. Schon bevor Francesco Ende 1181 oder Anfang 1182 geboren wird, hat der Städtebund der Lombardischen Liga sich eine beträchtliche Unabhängigkeit erkämpft.

Noch ist man in der neben Perugia eher kleinen Stadt Assisi vom Krieg verschont geblieben. Es herrscht die Atmosphäre eines gefährdeten Friedens. Man ahnt, er wird nicht mehr von langer Dauer sein. Ist es da ein Wunder, dass die Stadtjugend die ihr verblei