DIE ERSTE REVUETÄNZERIN
Das Auffälligste an Gay war ihre Art; man hatte fast den Eindruck, sie spiele sich selbst. Ihre Kleider und ihre Juwelen waren von ausgezeichneter Qualität, schmückten sie jedoch nur oberflächlich wie Lametta und Kugeln einen Weihnachtsbaum. Das kam daher, dass sie selbst von unheimlich guter Qualität war und nichts zu verbergen hatte als ihre Vergangenheit. Sie hatte fraglos die beste Figur von ganz New York, andernfalls hätte sie niemals so viel Geld damit verdienen können, auf einer Bühne herumzustehen und zwei Metern grünem Tüll den Anschein von Bedeutsamkeit zu verleihen. Ihr Haar war von diesem gewissen Blond, das keine Farbe im eigentlichen Sinne ist, sondern ein Spiegel für das Licht, deswegen sparte sie sich oft die Mühe, es in Wellen legen oder sonst wie «machen» zu lassen.
Als ich sie zum ersten Mal sah, saß sie im Japanischen Garten des «Ritz» und aß Himbeeren mit Sahne. Der kühle Klang von Brunnengeplätscher und Armreifenklirren hing in der Luft, eine dunstige Hochsommerstille dämpfte alle Gespräche. Ich merkte gleich, wie gut sie hierher passte, sie war so leicht und luftig, als hätte sie schon vor langer Zeit erkannt, dass sie dekorativ und unterhaltsam war und nicht auf der Welt, um Wesentliches zum Wohl der Allgemeinheit beizutragen.
Ihre weit auseinanderstehenden Augen waren klein. Alles an ihr war klein, dabei wirkte sie kein bisschen zu knapp geraten oder so, als hätte man an ihr gespart; vielmehr sah sie aus wie auf Hochglanz poliert. Sie war ziemlich groß, und alles an ihr fügte sich mit entzückender Passgenauigkeit zusammen, wie die Kerne eines Granatapfels. Vermutlich war es diese Ähnlichkeit mit einemobjet d’art, die ihr so viele Verehrer aus der besseren Gesellschaft bescherte.
Sie besaß jedoch noch andere Eigenschaften, die ihr, wie man ahnte, früher oder später zum Nachteil gereichen würden: Sie hatte eine Schwäche für intellektuelle Männer, obwohl sie, da bin ich mir sicher, kein Buch je bis zu Ende gelesen hatte und Bier jedem anderen Getränk vorzog; sie liebte Kneipen, lernte Französisch und konnte sich schlecht zwischen Theosophie und Katholizismus entscheiden.
In der Klatschpresse tauchte sie niemals auf. Die Männer, die sie umwarben, waren sehr vornehm, und so hatte sie früh gelernt, wie sehr es auf Diskretion ankam, auch sich selbst zuliebe. Im Schutz der Diskretion ließ es sich umso freier leben – ein sehr aristokratischer Standpunkt.
Außerdem war sie, eine zurückhaltende, aber fraglos abenteuerlustige Frau, finanziell abgesichert, was sie vor jener Hysterie bewahrte, in die ihre Kolleginnen regelmäßig verfielen. Natürlich hatte es nicht immer zum Leben gereicht, doch zu Beginn ihrer Karriere, als die Produzenten noch nicht gemerkt hatten, dass sie die Tänzerinnen neben sich aussehen ließ wie Mortadellawürste, hatte es einen weitsichtigen Ehemann gegeben, der ihr bis an ihr Lebensende jährlich fünftausend Dollar zahlen musste. Kein Zweifel, sie war in der Lage, auf dem Blumenpfad der Lust2 zu wandeln.
In den ersten Jahren war sie kurz davor gewesen, ihren Ruf zu ruinieren. Sie hatte sämtliche in der Sonntagsbeilage aufgeführten Partys besucht, und die Pressefotos waren so spektakulär, dass ihre rätselhafte Bekanntheit ins Ordinäre umzuschlagen drohte. Doch sie lernte, Cocktails mit Abs