Freie Liebe
Mein erstes Mal war mit einer Prostituierten in Amsterdam. Ich war achtzehn, und sie hieß Suzi, und viel älter als ich dürfte sie nicht gewesen sein. Ich war schlecht gelaunt mit dem Fahrrad in der Stadt herumgefahren und eher zufällig ins Rotlichtviertel geraten; es war das angenehmste Rotlichtviertel, in das ich mich je verirrt habe. Die Frauen sitzen hier auf Stühlen in mit Fellen und Stoffen dekorierten Fenstern, die Brüste nackt, manchmal auch mehr, dünne Morgenmäntel und Federboas um die Schultern gebreitet. Es dauerte, bis ich kapierte, dass sie mich nicht deshalb so mürrisch und finster anblickten, weil ich glotzte, sondern weil ich keine Kundschaft war.
Es war Abend, und ich war allein mit dem Fahrrad losgezogen. In einer schmalen Gasse war ich stehen geblieben, um mir meinen Pullover überzuziehen, und dabei war mein Rad umgekippt und die Kette herausgesprungen. Ich lehnte es an eine Hausmauer, damit ich besser an die Kette herankam, und da fielen mir die Karten auf, die an der Tür steckten. Es waren mehrere auf Englisch darunter, auf einer hieß es: Du brauchst Entspannung? Hier findest du sie. Ohne Zeitdruck. Läute bei Becky. Auf einer anderen stand: Unschlagbaren Service bietet Dieter. 2. Stock. Auf wieder einer anderen stand etwas über Uniformen und über Dominanz, daneben ein gezeichnetes Schulmädchen. Ich kicherte noch in mich hinein über die Schildchen, als ich ganz unten eines sah in winziger Schrift und verschiedenen Sprachen, Niederländisch, Französisch, Deutsch, Englisch und irgendwas Östliches; die englische Zeile verhieß Liebe für Männer und Frauen, Suzi, 3. Stock. Das und war unterstrichen.
Da ließ ich mein Rad an der Hauswand stehen und ertappte mich dabei, dass ich die Treppe hinaufstieg; an einer Tür im dritten Stock steckte dieselbe Karte, und an die klopfte meine Hand an. Für den Fall, dass ich wieder weg wollte, hatte ich eine Ausrede parat, wollte sagen, ich hätte mich verlaufen und ob sie mir den Weg zur Jugendherberge beschreiben könne. Doch sie machte die Tür auf und war so nett, dass ich sie sofort sympathisch fand und kein bisschen Angst hatte.
Die Wohnung bestand aus einem Zimmer mit angrenzendem Bad, ein paar Stühlen, dem Bett und einer Küchenecke, die mit einem Vorhang aus roten Kugelschnüren abgeteilt war wie auf Fotos aus den Sechzigern. An der Wand hing ein Poster des Leadsängers von a-ha, die in Europa gerade schwer angesagt waren, und sie sagte, er gefalle ihr, weil er ein Mann sei, aber aussehe wie eine Frau. Ich weiß noch, dass ich das sehr aufregend fand, etwas Derartiges so frei heraus gesagt zu hören war für mich völlig neu. Ich komme aus einer Kleinstadt; eines Abends waren meine Freundin Jackie und ich in einem Pub, und auf der anderen Seite saßen auch zwei Mädchen an einem Tisch; sie sahen ganz normal aus, eigentlich noch normaler als wir, hatten lange Haare und waren stark geschminkt, und als ich hinlinste, weil ich wissen wollte, was für Schuhe sie trugen, entdeckte ich, dass die eine ihren Fuß aus den hochhackigen Schuhen gezogen hatte und der anderen damit unter dem Tisch übers Schienbein strich. Das war sehr mutig, wenn ich jetzt daran zurückdenke; die beiden wären wahrscheinlich zusammengeschlagen worden, hätte jemand das mitgekriegt. Damals machte ich nur Jackie darauf aufmerksam, und sie sagte etwas in der Richtung, wie ekelhaft das sei, ich stimmte ihr wohl sogar zu, ich wollte nie anderer Meinung sein als sie.
Die Prostituierte sprach Englisch mit amerikanischem Akzent. Sie habe eine Stunde, sagte sie, ob mir das genüge, und obwohl ich keinen Schimmer hatte, sagte ich, ja, glaub schon. Ich zeigte ihr meine Hände, die von dem Rad ganz ölig waren, und sagte, ich sollte sie mir