: Jodi Picoult
: Die Spuren meiner Mutter Roman.
: C.Bertelsmann Verlag
: 9783641163488
: 1
: CHF 8.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die dreizehnjährige Jenna sucht ihre Mutter, die nach einem tragischen Vorfall im Elefantenreservat von New Hampshire spurlos verschwand. Nachdem Jenna schon alle Vermisstenportale im Internet durchsucht hat, wendet sie sich an die Wahrsagerin Serenity. Diese hat der Polizei beim Aufspüren vermisster Personen geholfen, bis sie glaubte, ihre Gabe verloren zu haben. Zusammen finden sie den abgehalfterten Privatdetektiv Virgil, der als Ermittler mit dem Fall der verschwundenen Elefantenforscherin Alice befasst war. Das kuriose Trio macht sich auf eine spannende, erkenntnisreiche und bewegende Spurensuche – mit verblüffender Auflösung.

Jodi Picoult, geboren 1966 in New York, studierte in Princeton und Harvard. Seit 1992 schrieb sie neunzwanzig Romane, von denen viele auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerlist standen. Die Autorin versteht es meisterhaft, über ernste Themen unterhaltend zu schreiben. Sie wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem renommierten New England Book Award. Jodi Picoult lebt mit ihrem Mann in Hanover, New Hampshire.

JENNA

Wenn es um das Gedächtnis geht, bin ich so was wie ein Profi. Zwar bin ich erst dreizehn, aber ich habe es studiert, so wie andere Kids meines Alters Modemagazine verschlingen. So gibt es etwa das Gedächtnis, um sich in der Welt zurechtzufinden, wozu das Wissen gehört, dass Öfen heiß sind oder man Frostbeulen bekommt, wenn man im Winter ohne Schuhe nach draußen geht. Dann gibt es das Gedächtnis der Sinne – dass man blinzeln muss, wenn man in die Sonne starrt, und Würmer keine gute Mahlzeit sind. Es gibt Daten, an die man sich aus dem Geschichtsunterricht erinnert und die man dann im Abitur wieder hervorholen kann, weil sie im großen Plan des Universums von Bedeutung sind – sagt man mir jedenfalls. Und es gibt persönliche Details, an die man sich erinnert, wie die Höhepunkte in der eigenen Lebenskurve, die für keinen anderen von Bedeutung sind. Im vergangenen Schuljahr hat mein Lehrer in Naturwissenschaften mich eine Studie über das Gedächtnis anfertigen lassen. Ohnehin erteilen mir die meisten meiner Lehrer Aufgaben, die ich eigenständig ausführe, weil sie wissen, dass ich mich im Unterricht langweile, aber offen gestanden glaube ich, sie tun dies aus Angst, ich könnte mehr wissen als sie, und weil sie nicht in die Situation kommen wollen, dies zugeben zu müssen.

Meine erste Erinnerung ist unscharf mit weißen Rändern, wie ein überbelichtetes Foto. Meine Mutter hält gesponnenen Zucker in Kegelform in der Hand – Zuckerwatte. Sie hebt einen Zeigefinger an die Lippen –das ist unser Geheimnis – und reißt dann ein kleines Stückchen ab. Als sie damit meine Lippen berührt, löst der Zucker sich auf. Meine Zunge wickelt sich um ihren Finger und saugt kräftig daran.Iswidi, erklärt sie mir.Süß. Das ist nicht mein Fläschchen, es ist ein mir unbekannter Geschmack, aber ein guter. Dann beugt sie sich herab und küsst mich auf die Stirn.Uswidi, sagt sie.Liebling.

Ich dürfte höchstens neun Monate alt gewesen sein.

Das ist ziemlich erstaunlich, denn die meisten Kinder können ihre ersten Erinnerungen irgendwo im Alter zwischen zwei und fünf Jahren festmachen. Was aber nicht heißen soll, dass Babys an Amnesie leiden – sie verfügen über Erinnerungen, lange bevor sie über eine Sprache verfügen, haben aber verrückterweise keinen Zugang zu ihnen, wenn sie zu sprechen anfangen. Womöglich erinnere ich mich an die Episode mit der Zuckerwatte deshalb, weil meine Mutter Xhosa mit mir sprach, eine uns fremde Sprache, die sie sich angeeignet hatte, als sie in Südafrika an ihrer Promotion arbeitete. Vielleicht lässt sich diese zufällige Erinnerung aber auch mit einem Tausch erklären, den mein Gehirn vorgenommen hat – denn ich kann michnicht an das erinnern, woran ich mich so verzweifelt gern erinnern würde: an Einzelheiten jener Nacht, als meine Mutter verschwand.

Meine Mutter war Wissenschaftlerin, und für kurze Zeit beschäftigte sie sich sogar mit dem Gedächtnis. Das war Teil ihrer Arbeit über die kognitiven Fähigkeiten von Elefanten. Sie kennen doch das alte Sprichwort, dass Elefa