: Anika Klüver
: Professor Zamorra 1097 Gefangene der Anderswelt
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732531868
: Professor Zamorra
: 1
: CHF 1,80
:
: Horror
: German
: 64
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Seine Hufe gruben sich in den weichen Erdboden und schleuderten Gras und Dreckklumpen in die klare Nachtluft.

Hufe? Warum Hufe? Er verstand es nicht. Doch die Gewissheit, dass hier etwas nicht stimmte, dass er keine Hufe, sondern menschliche Füße haben sollte, wurde von der Todesangst überlagert, die ihn antrieb. Sein großer Körper rannte automatisch. Er war sehr viel schneller als sonst, und doch fürchtete er, nicht schnell genug zu sein. Das laute Bellen der Meute hallte in seinen empfindlichen Ohren wider und schürte neue Panik. Er konnte sie riechen, ihren gierigen heißen Atem erahnen.

Sie würden ihn zerfleischen! Erneut grub er die Hufe in den Boden und rannte ...

Mwnt Church, Ceredigion
Wales

Für walisische Verhältnisse war es ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien vom nur leicht bewölkten Himmel und sorgte für angenehme Temperaturen. Wie an jeder Küste herrschte auch hier recht starker Wind, doch das schien keinen der Ausflügler zu stören. Zahlreiche Badegäste tummelten sich auf dem kleinen Stück Sandstrand am Fuß der Klippe und im Wasser der Bucht. Der Strand galt als Geheimtipp, doch mittlerweile schien dieser idyllische Ort nicht mehr ganz so geheim zu sein. In ein paar Jahren würde es hier wahrscheinlich so überlaufen sein, dass von Erholung keine Rede mehr sein konnte.

Branwen Jones wandte den Blick von dem bunten Treiben am Strand ab und konzentrierte sich wieder auf den eigentlichen Grund für ihre Anwesenheit an diesem Ort. Die einfache weiße Kirche mit dem dunkelgrauen Schieferdach wirkte als einziges Bauwerk in dieser Landschaft ein wenig verloren. Lediglich eine verfallene niedrige Mauer, ein kleines Nebengebäude und ein paar alte Grabsteine leisteten ihr Gesellschaft. Die Kirche stammte aus dem vierzehnten Jahrhundert und hatte im Mittelalter ursprünglich Seeleuten als Andachtsstätte gedient, für die die Hauptkirche der Gemeinde zu weit entfernt gewesen war. Mittlerweile stand sie unter Denkmalschutz und stellte hauptsächliche eine Touristenattraktion dar.

Am heutigen Tag erfüllte das alte Bauwerk allerdings noch einen weiteren Zweck. Es stand ein paar Kunststudenten aus Aberystwyth Modell, die extra angereist waren, um die Kirche in natürlichen Lichtverhältnissen auf Papier zu bannen.

Branwen saß ein Stück abseits auf einer Anhöhe, von der aus sie einen perfekten Blick auf die Kirche hatte. Ihr Zeichenblock lag auf ihren Knien und wies bereits einige grobe Skizzen auf. Ganz in der Nähe der Kirche konnte sie ein paar ihrer Kommilitonen erkennen. Offenbar hatten sie sich dafür entschieden, zuerst die Detailzeichnungen und Innenansichten anzufertigen, die ebenfalls Teil der Aufgabe waren. Branwen betrachtete lieber erst das Gesamtbild und arbeitete sich dann nach und nach zu den Einzelheiten vor. Für sie war es so ähnlich, als würde sie einen Menschen kennenlernen. Zuerst verschaffte sie sich einen ersten Eindruck, dann lernte sie die Person immer besser kennen.

Die Kirche verfügte tatsächlich über eine gewisse Persönlichkeit, fand sie, daher war der Vergleich gar nicht so abwegig. Dieses Gebäude stand schon so lange hier und hatte vieles überdauert. Es hatte dem rauen Wetter hier an der Küste getrotzt und den Menschen jahrhundertelang Zuflucht geboten. So unscheinbar diese Kirche auch wirken mochte, Branwen gefiel sie besser als jede andere.

Eine Wolke schob sich vor die Sonne und veränderte das Licht. Das strahlende Weiß der Kirche wurde zu einem kühlen Grau. Nachdenklich setzte Branwen den Bleistift wieder an. S