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Es fiel ihrnicht leicht, zu tun, was getan werden musste. Noch schlief der Säugling, hatte die Augen fest geschlossen. Die Nacht umhüllte beide mit ihrem dunklen Tuch und ließ kaum ein Geräusch zu. Hin und wieder glaubte Klara, die Blicke der vielen Tiere auf sich zu spüren. Sie lauerten versteckt hinter jedem Busch. Eine Eule strich mit lautlosem Flug über die Wipfel. Die Magd fürchtete sich. Doch welche Möglichkeiten blieben ihr, außer das Kind dem Willen des Herrn zu übergeben. Das Kind, von dessen Existenz nie jemand erfahren durfte.
Klara wollte den armen Wurm vor den Altar der Waldkapelle legen, das war das Einzige, was sie für das kleine Kerlchen noch tun konnte. Ein Menschenkind, in Gier gezeugt und dann von keinem gewollt. Den Blick der Mutter würde sie nie vergessen. Diesen unglaublichen Schmerz, diese Fassungslosigkeit, gepaart mit gleichzeitigem Hass. Das Kind wäre besser niemals geboren worden. Aber sollte sie es wirklich töten und sich damit vor dem Herrn strafbar machen? Diese Sünde hier war kleiner, besser zu rechtfertigen.
Eine Zeit lang hatte sie gedacht, dass sie den Bub irgendwie durchbringen konnte, denn ihre Brust war reichlich mit Milch gesegnet. Ihrem Mann hatte sie gesagt, dass sie die Amme sei und eine Weile für das Kind sorgen würde. Doch als sie spürte, dass weder ihre Kraft noch die Milch ausreichten, hatte sie dem Jungen Laudanum gegeben, damit er ruhiger wurde und weniger trank. Nun aber war es an der Zeit, dass er auch andere Nahrung bekam. Sie hatte nicht gewusst, wie sie das bewerkstelligen sollte, hatten sie doch selbst kaum genug zum Überleben. »Ich werde ihn zur Mutter zurückbringen müssen«, hatte sie ihrem Mann erklärt. »Bin morgen in der Früh wieder daheim.«
Im Herrschaftshaus hatte sie sich krankgemeldet.
»Und der Bub?«, hatte ihr Mann gefragt. Seine Augen waren zu ihrem eigenen Sohn gewandert.
»Dem hab ich Milch vom Bauern hingestellt und wenn du ihm eine Mohrrübe weichkochst und den Hirsebrei aufwärmst, reicht das.«
Er hatte widerwillig zugestimmt.
Jetzt stand Klara mit einer Last, die gar nicht die ihre war, hier mitten im Wald. Gescheitert. Sie hätte den Jungen gleich töten sollen, so, wie man es ihr aufgetragen hatte. Bevor das Lächeln über seine Lippen geglitten war. Bevor er diesen Blick auf sie richtete, dem sie sich nicht entziehen konnte. Nun war es unmöglich, das zu tun. Sie sollte sich beeilen, damit daheim und im Dorf keiner Fragen stellte, wenn sie zu lange fort war.
Klara hoffte, die Kapelle zu finden, von der sie nur gehört hatte. Gott würde sich des Knaben annehmen und von nun an sein Schicksal lenken. Sie konnte die Last loslassen, die sie erdrückte. Die Verantwortung abgeben, und danach war sie endlich frei.
»Du wirst nie mehr frei sein«, flüsterte sie. »Dieses Kind wird dich dein ganzes Leben verfolgen, weil du dich mitschuldig gemacht hast.« In dem Augenblick hasste sie nicht nur das Kind auf ihrem Arm, sondern noch um vieles mehr die Mutter, die sie gezwungen hatte, diese Schuld auf sich zu laden. Klara e