Und wenn sie sich wehrt? Sie bleiben stehen, werfen einander unschlüssige Blicke zu, flüstern kurz miteinander. Sie schauen sich um im Raum und dann zögerlich zu ihr hinüber. Wird sie diesmal tun, was man ihr sagt? Sie muss. Einer stellt sicher, dass die Tür verschlossen ist, nickt einem anderen zu, der das Futteral öffnet und die Schärfe einer Klinge prüft. Dann geht er auf sie zu. Erst mal rauf mit ihr. Die Treppe hoch, auf die leere, dunkle Bühne. Notfalls werden sie sie zerren, notfalls wird sie eben geschleift. An den Haaren gezogen, wenn es nicht anders geht. Aber, nein, das Mädchen wehrt sich nicht – diesmal nicht. Fast könnte man meinen, es hätte sich schon an all das gewöhnt. Noch ist es stumm, noch sagt es kein Wort. Es krümmt sich kurz, es schaut mit großen starren Augen zur Decke hinauf. Es konzentriert sich, lauscht, nickt.
* * *
Wenn ich es einmal gekonnt habe,denkt das Mädchen, kann ich es wieder tun. Schneiden und trinken. »Da.« Jetzt hält er mir einen dieser Gegenstände vors Gesicht. Noch einmal sagt er: »Da!« Ich nicke. »Du musst das Messer nehmen.« Es ist kalt. Ich schließe die Augen und spüre, dass mein Herz schneller und schneller schlägt. Aber das heißt doch, dass ich am Leben bin, oder nicht? Dass ich immer noch am Leben bin. Ich versuche, mich auf die Stimme zu konzentrieren, aber es gelingt mir einfach nicht. Zu viel Bewegung. Etwas flattert dicht an mir vorbei, und ich zucke zusammen, schreie auf. Es ist ein Vogel, einer von diesen Vögeln, die nicht wissen, wohin, die mit den Flügeln schlagen und zur Decke aufsteigen. Weil dort Rettung sein müsste. Eine Hand umfasst meine Schulter. »Hör zu«, sagt er leise, und ich spüre kalt die Klinge. Ich weiß nicht, ob ich es richtig mache, aber jetzt tue ich, was sie wollen. Jetzt spreche ich. Mein Herz klopft, und kurz öffne ich die Augen. Stewart sitzt in einer Ecke. Ich kann ihn kaum erkennen, aber er hat beide Hände vor dem Mund gefaltet und die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Ich kann seine Spannung spüren, weiß, dass er jetzt sehr viel von mir erwartet. Es ist kalt, seit sie das Feuer gelöscht haben. Die abgezogene Haut ist verbrannt, nur noch bittere, stinkende Asche. Aber ich bin am Leben, vielleicht bin ich immer noch ich, und als der Schrei ertönt, schreie ich mit, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Der Raum ist hoch, das Echo fällt auf uns herab. Das Blut ist so dünn. Dünn ist es, und es sieht nicht rot aus, nicht so rot, wie ich es mir vorgestellt habe. »Es genügt noch nicht«, sagt er. Stewart nickt in seiner Ecke. Also weiter.
* * *
Jetzt wartet er schon eine ganze Weile. Noch immer keine Bewegung auf der Straße. Ein bisschen Regen, Tropfen wie hauchfeiner Staub im Laternenlicht. Schon wieder schaut er auf die Uhr. Pünktlich sind sie nicht.
Der unordentliche Haufen auf dem Beifahrersitz zieht seinen Blick immer wieder an – die Notizblöcke, die Karten, die Kopie eines medizinischen Gutachtens, die Kamera. Bilder von Luisenburg: das Gelände, aufsteigende Rasenflächen, Bänke, die Umgebung. Die Zufahrtsstraßen.Das frisch eingesetzte Fenster.
Jetzt steigt er aus, hält sich an der Fahrer