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Cleo hatte keine Lust, Gassi zu gehen. Wie immer, wenn es regnete, versuchte sie sich unter ohrenbetäubendem Jaulen und mit vollem Körpereinsatz zu drücken. Und wie immer nutzte ihr das nichts, denn ihr Frauchen war äußerst resolut und prinzipientreu.
Lieselotte Larisch hatte die Deutsche Dogge zwei Jahre zuvor gekauft, kurz nachdem sie das alte Bauernhaus in Rölvede erworben hatte und dort eingezogen war. Früher, als vielbeschäftigte Rektorin der Grundschule Spormecke, hatte sie von einem solchen Leben auf dem Land geträumt, und nachdem sie in den Ruhestand gegangen war, erfüllte sie sich ihren Traum.
Zu den wenigen Störungen in ihren harmonischen, aber streng durchorganisierten Tagesabläufen gehörten die Kämpfe mit Cleo, wenn diese ein Bad oder, wie an diesem Abend, einen kurzen Fußmarsch im Regen verhindern wollte.
Lieselotte Larisch hatte freilich schon Erfahrung mit solch unerfreulichen Situationen und setzte zumeist auf den Überraschungseffekt.
So auch diesmal: Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – sie tat so, als suche sie etwas scheinbar Heruntergefallenes auf dem Fußboden der Diele – appellierte sie an Cleos Neugier. Die Hündin konnte, obwohl schon zigmal auf ähnliche Tricks hereingefallen, schließlich nicht widerstehen und kam näher.
Dann kam der Angriff. Mit einem schnellen und entschlossenen Griff bekam sie den rechten Vorderlauf Cleos zu fassen und stürzte sich im nächsten Augenblick, ihre ernst zu nehmenden Arthrose-Beschwerden ignorierend, auf die Knie. Schon umklammerte sie im Stil eines Ringers den Rumpf des stattlichen Tieres und zerrte es unter dessen energischem Protest in Richtung Haustür. Cleo versuchte immer wieder, mit ihren Läufen Halt auf dem glatten Parkettboden zu finden, rutschte aber stets ab und verlor dabei wertvolle Zentimeter. Zweimal zwickte sie Lieselotte Larisch sogar in die Hand, worauf jeweils ein gellender Schrei folgte. Davon kurzfristig beeindruckt, verfiel Cleo für einige Sekunden in völlige Erstarrung, was ihrer Besitzerin ebenfalls einen nicht unerheblichen Raumgewinn einbrachte.
Hund und Frauchen brachten zusammen gut und gerne 200 Kilo auf die Waage und füllten fast die gesamte Breite der Diele aus. Eine wild fuchtelnde, stöhnende und knurrende Masse, die sich langsam, aber kontinuierlich fortbewegte.
Endlich draußen angekommen, stieß Lieselotte Larisch mit dem linken Fuß und in artistischer Bewegung die Haustür zu. Wie gewohnt fand sich Cleo von diesem Punkt an mit der Situation ab und fügte sich, zwar ohne Begeisterung, aber auch ohne nennenswerten Widerstand, ihrem Schicksal. Lieselotte Larisch, nach Luft ringend und mit zerzauster Dutt-Frisur, entfuhr dennoch ein »Dämliches Mistvieh!« – eine völlig unangemessene sprachliche Entgleisung, für die sie sich im nächsten Moment selbst rügte, denn noch immer war sie mit jeder Faser ihres Körpers leidenschaftliche Deutschlehrerin.
Rölvede war eine kleine Siedlung, die seit der Kommunalreform des Kreises Altena vor drei Jahren zur Gemeinde Schalksmühle gehörte und auf einem langgestreckten Höhenkamm in unmittelbarer Nähe der neuen Autobahn 45, der Sauerlandlinie, lag. Obwohl die Lärmbelästigung, wohl durch d