1. KAPITEL
„Willst du, Damien Halliburton, Chelsea London zu deiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen?“
Die Worte des Pfarrers drangen wie von Ferne an Cals Ohr, der immerhin Trauzeuge war. Er tat wirklich sein Bestes, um ein Gähnen zu unterdrücken und sich ganz auf die Trauung seines besten Freundes und Geschäftspartners zu konzentrieren.
„Ja, ich will“, sagte Damien laut und feierlich, während er seiner zugegebenermaßen bezaubernden Braut tief in die Augen schaute.
Auch wenn Cal nicht abstreiten konnte, dass sein Freund seit der Beziehung mit Chelsea vor Glück nur so strahlte, so war er doch felsenfest davon überzeugt, dass diese Art Glück nichts für ihn selbst war.
Nein, er genoss seinen privilegierten Lebensstil in vollen Zügen. Um nichts wollte er die Dinge missen, die damit einhergingen: Tennis, Golf, Segeln, Drinks im Club und gelegentliche Wochenenden am Meer.
Außerdem ging er in seiner Arbeit völlig auf. Kaum etwas bereitete ihm mehr Befriedigung, als die reichsten und schwierigsten Kunden fürKeppler, Jones und Morgenstern an Land zu ziehen. Manch einer in seiner Branche hielt ihn für ziemlich skrupellos. Doch das stimmte nicht. In Wahrheit war es ihm schon immer leichtgefallen, Menschen zu überzeugen.
Cal schaute quer über den Altar und fing den Blick von Kensey auf, einer Brautjungfer, die zufälligerweise auch Chelseas ältere Schwester war. Im Gegensatz zur blonden Chelsea war sie brünett. Cal hatte schon immer Brünette bevorzugt.
Er lächelte ihr zu.
Kenseys Augen weiteten sich. Im nächsten Moment hob sie die linke Hand und wedelte mit ihrem Ehering in seine Richtung.
Cal lächelte nur noch breiter und zuckte entschuldigend die Schultern, doch als er seinen Blick von ihr abwandte, verwandelte sich sein Gesicht kurz in eine Grimasse. Zur Hölle, war denn mittlerweile die ganze Welt verheiratet?
Rasch überflog er die versammelte Gästeschar, die die elegante Kirche bis auf den letzten Platz ausfüllte. Die geschiedenen, aber immer noch freundschaftlich verbundenen Eltern des Bräutigams saßen natürlich in der ersten Reihe und weinten hemmungslos. Wenn die beiden nicht spätestens am Ende des Monats erneut vor den Altar traten, dann wollte Cal nicht mehr Cal heißen.
Seine eigenen Eltern, die ehrenwerten Gilchrists, ein Paar, das den Hinweis „bis dass der Tod euch scheide“ so ernst nahm, dass es ihn nicht wundern würde, wenn sie sich eines Tages gegenseitig erwürgten, saß natürlich auf dem zweitbesten Platz direkt hinter den Halliburtons.
Von der fünften Reihe aus winkte ihm Damiens Tante Gladys kokett zu. Cal winkte zurück, woraufhin die ältere Dame beinahe auf der Stelle in Ohnmacht fiel.
Unbewusst nahm er viele bekannte und unbekannte Gesichter wahr, darunter einige, die er nicht unbedingt wiedersehen wollte.
Aber halt! Hatte er da nicht eben lange braune Locken gesehen, dazu ein Paar strahlend blauer Augen, eingerahmt von unglaublich langen Wimpern, und dazu ein wundervoll sinnlicher, verführerischer Mund, für den jeder Mann sterben würde?
Ava …
Ihr Name tauchte für ihn wie aus dem Nichts auf, ähnlich einer Explosion, die ihn in seinen Grundfesten erschütterte.
Blitzschnell suchte er erneut die Reihen ab, auch wenn ihm klar war, dass seine Fantasie ihm einen Streich gespielt haben musste.
Obwohl – rein theoretischkonnte er sie gesehen haben. Immerhinwar sie Damiens Schwester. Doch sein Freund hatte nie erwähnt, dass sie nach beinahe zehn Jahren extra aus Boston zur Hochzeit anreisen würde. Hätte Damien etwas in die Richtung angedeutet, wäre es Cal ganz bestimmt nicht entgangen.
Doch jetzt sah er nur unbekannte Gesichter, von denen keines ein solches Herzrasen in ihm auslöste, wie es das ihre tat. Oder genauer gesagt: getan hatte.Vor langer, langer Zeit, in einem anderen Universum …
Als er Ava das letzte Mal gesehen hatte, war er ein zweiundzwanzigjähriger BWL-Absolvent gewesen, der sich bedenkenlos seines Familiennamens bediente, um vorwärtszukommen. Sie dagegen war eine hochbegabte Studentin der Geisteswissenschaften, die bereit war, notfalls bis ans Ende der Welt zu gehen, um einen Ort zu finden, an demniemand ihren Familiennamen kannte.
Schon seit Highschool-Zeiten waren sie befreundet, mindestens ebenso lange bekämpften sie sich, und für eine einzige Nacht waren sie zu Liebenden geworden – exakt einen Tag, bevor Ava nach Harvard gereist war, um ein Stipendium anzutreten, das man ihr dort gewährt hatte. Es war die erste von diversen Universitäten, die sie besuchte. Sie ging, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie schrieb keine Postkarten, keine Briefe und keine E-Mails, und sie rief auch nicht an.
Cal runzelte die Stirn. Er hatte jetzt jede Reihe abgesucht und konnte keine braunen Locken mehr entdecken, ebenso wenig wie rauchblaue Augen oder rosige Lippen. Vermutlich hatte er sich nur eingebildet, ihr Gesicht gesehen zu haben. Immerhin hatte er sich s