: Achim Landwehr
: Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit Essay zur Geschichtstheorie
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104901343
: 1
: CHF 14.00
:
: Geschichte
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was ist Geschichte, und woher wissen wir, wie die Vergangenheit beschaffen war? Der Historiker Achim Landwehr präsentiert mit seinem neuen Buch ?Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit? ein Grundlagenwerk der Geschichtstheorie. In einer klugen geschichtsphilosophischen Wendung zeigt er, wie wir unsere Vergangenheit selbst erschaffen. Denn was Historiker als »Quellen« bezeichnen, die Zeugnisse vergangener Welten, sind bloß Ausschnitte, Schnipsel, die interpretiert sein wollen. Für alle, die wissen wollen, was es mit der Geschichte jenseits der Ereignisse auf sich hat, erklärt Achim Landwehr, warum die Wirklichkeit unfassbar ist und wir der Historie nicht entkommen können. Nicht zuletzt entwickelt er ein neues Zeitmodell des Historischen. Dabei setzt er ungewöhnliche Akzente - und macht deutlich, dass auch in der Geschichte »alles fließt«.

Achim Landwehr, geboren 1968, lehrt Geschichte der Frühen Neuzeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Einführung ?Historische Diskursanalyse? (2009) ist ein wichtiges Standardwerk für Studierende. Bei S. Fischer erschien von ihm 2014 ?Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert?. 2012 erhielt er für seinen Beitrag ?Die Kunst, sich nicht allzu sicher zu sein: Möglichkeiten kritischer Geschichtsschreibung? den Essaypreis der Zeitschrift »Werkstatt Geschichte«. Er betreibt einen Geschichtsblog unter www.achimlandwehr.wordpress.c m

Vergangenheit


Wir brauchen die Vergangenheit nicht zu zerstören: sie ist fort; jeden Augenblick könnte sie wiederkehren, Gegenwart scheinen und sein. Wäre es eine Wiederholung? Nur wenn wir dächten, wir besäßen sie, aber da wir’s nicht tun, ist sie frei und wir ebenso.

John Cage[1]

Beschreibungen astronomischer Phänomene in weit entfernten Galaxien folgen einer ganz eigenen Rhetorik. Seit es für Weltraumteleskope möglich ist, Aufnahmen von bisher unbekannter Qualität aus den entferntesten Ecken des Universums zur Erde zu übermitteln, erreicht die Poetik der Beschreibungen von planetarischen Nebeln, Supernovas oder Exoplaneten eine neue Qualität. Das Schwärmen in Farben, die im wörtlichen Sinn nicht von dieser Welt sind, die Häufung metaphorischer Beschreibungen (Weiße Löcher, Blaue Riesen, Dunkle Materie), die Bezeichnung von Sternenkonstellationen, die teils der antiken Mythologie, teils einem nüchternen Katalogisierungssystem entstammen – all das hat eine ganz eigene Textgattung hervorgebracht.

Ein wesentlicher Bestandteil dieser Astropoetik sind die schier endlosen zeitlichen Dimensionen, die nur noch in Millionen und Milliarden von Lichtjahren beziffert werden können und die jede menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Frappierend sind diese Zeitangaben, weil alles, was wir hier auf Erden von den Sternen sehen können und was uns von den Weltraumteleskopen übermittelt wird, bekanntermaßen nichts ist als Licht – sehr altes Licht, das einen sehr langen Weg und damit auch sehr viel Zeit hinter sich gebracht hat.[2]

Auch wenn wir es mit Zeitdimensionen gänzlich anderer Größenordnung zu tun haben, so scheint es doch die eine oder andere Parallele zwischen Astronomie und Geschichtsschreibung zu geben. Auch Sternengucker haben es offensichtlich nicht mit aktuellen, sondern mit teils unfassbar alten Zuständen zu tun. Die Gegebenheiten im Universum, die uns hier und heute als gegenwärtig erscheinen, gehören einer Vergangenheit an, die in dieser Form nicht mehr existiert. Astronomie und Geschichtswissenschaft beschäftigen sich also mit Phänomenen, die in der Gegenwart wahrgenommen werden, aber in der Vergangenheit geschehen sind. Das bietet nun insbesondere für Zeitreisende ungeahnte Möglichkeiten. Schon ein Blick ins All könnte genügen, um sie dort tatsächlich zu sehen: die Vergangenheit! Das Universum könnte der einzige, dafür aber unendlich große Raum sein, in dem wir dieser Vergangenheit tatsächlich ansichtig werden können: die Reise inouter space als Bewegungback in time.

Jede Beschreibung unserer eigenen oder einer der unzählbar vielen anderen Galaxien müsste daher konsequent in der Vergangenheitsform gehalten sein. Was dort jeweils durch bildgebende Verfahren zum Vorschein gebracht wird,ist nicht, sondernwar einmal. Ebenso konsequent müsste jede Beschreibung ihre eigene Standortgebundenheit zum Thema machen, müsste also immer unterstreichen, dass sie von einer staubkorngroßen Erde unter bestimmten perspektivischen Voraussetzungen vorgenommen wird. Wir sehen also nicht das Weltall von irgendwo anders her, sondern wir erstellen Modellierungen des Universums, die unserem irdischen Kenntnisstand entsprechen. Betrachtet man den Duktus astronomischer Beschreibungen, funktionieren diese aber durchaus anders. Sie sind zumeist im Präsens gehalten und nehmen nicht selten eine Art gottgleicher Perspektive ein, die ›von außen‹ auf die Zustände schaut. Aber wo sollte dieses Außen sein? Und wann ist das Jetzt, von dem da beständig die Rede ist?

Den Blick in den Abendhimmel als Reise in die Vergangenheit zu verstehen, stellt sich letztlich als eine anthropozentrische Sicht der Dinge dar, bei der man sich eigentlich auf die kleinen menschlichen Fingerchen klopfen müsste, weil mal wieder alles und jed