Kapitel I
Tomeija schlug bäuchlings auf weichem Boden auf, der unter ihrem Gewicht leise reibend wegrutschte und sie teppichgleich mitzog. Die Sand- und Aschereste in den Augen verhinderten, dass sie ihre Umgebung sah.
Dûrus ist ein verdammter Witgo! Sie stemmte sich mit Händen und Füßen gegen das Gleiten und kam zusammen mit dem tückischen Untergrund an dem Hang zum Ruhen. Sollte der Baron davon gewusst haben, müsste sie als Scīrgerēfa den König in Kenntnis setzen. Hexerei wurde gemäß den Reichsgesetzen Telonias nicht geduldet.
Tomeija spürte die unerwartete Kälte, die sie mit mal zarten, mal spürbaren Böen umstrich. Sie musste sich im Freien befinden, ein vielstimmiges Pfeifen und Säuseln stammte vom Wind, der sich an Kanten rieb. Das Rauschen von Blättern fehlte.
Was hat er mit uns getan? Tomeija drehte sich auf den Rücken und legte das Schwert quer über ihre Brust, blinzelte und rieb behutsam über ihre Augen, um die Fremdkörper zu entfernen. Eine Trinkflasche hatte sie nicht dabei, um die Augen zu spülen, daher halfen nur Geduld und stummes Verwünschen.
Ihr Körper schmerzte von den Attacken der Skeletthände, aber es fühlte sich nicht so an, als hätte sie eine Wunde davongetragen.
Das laute Rufen nach Liothan unterließ sie. Nur Anfänger brüllten herum, solange sie nicht imstande waren, sich zu wehren, oder wussten, wie sich ihr Umfeld gestaltete.
Die Kälte nahm zu, je länger sie lag. So frostig hatte sie die Sommernächte in Walfor nicht in Erinnerung. Das Singen des Windes endete nicht, feine Körnchen trieben unablässig gegen ihr Gesicht, als wirkte der Zauberspruch nach. Sie konnte sich an keine Stelle in der Baronie erinnern, wo es nicht einen Baum und dafür viel losen Sand gab.
Ihre Unruhe nahm zu.
Dann roch Tomeija frisches Blut und vernahm Schreie aus weiter Entfernung.Was geht hier vor?
Behutsam setzte sie sich auf, blickte sich zwinkernd in der nächtlichen Dunkelheit um. Ihre Ungläubigkeit stieg ins Unendliche.
Tomeija saß auf dem oberen Drittel eines gestirnbeschienenen Dünenhanges.
In hundert Schritt Entfernung unter ihr lief die Düne auf einer ebenen Fläche aus, auf der sich in unregelmäßigen Abständen hohe Felsblöcke emporstemmten. Der trockene Untergrund zeigte ein wirres Rissmuster, vereinzelt standen Dornenbüsche und Grasbüschel verloren herum und trotzten dem Wind. Das verwitterte Gestein wirkte, als sei es einst behauen worden, und zeigte halb geometrische Figuren. Es mochten Überreste einer Stadt oder monumentaler Bauwerke sein, die von der Wüste aufgefressen wurden.
Es gab keine Wüste in Tomeijas Heimat, weder in Walfor noch in Telonia noch in einem ihr sonst bekannten Reich der Umgebung.
Wohin hat mich der Witgo verbannt? Tomeija hob voller böser Ahnung den Kopf.
Ein fremder Sternenhimmel und zwei verschieden große Monde, die versetzt über ihr schwebten und Silberschein auf sie warfen, beleuchteten das Land.
»Nein, ihr Götter!«, entfuhr es ihr keuchend, und sie sprang auf die Beine, die Füße versanken bis zu den Knöcheln im weichen Sand. Mit dem Schwert stützte Tomeija sich ab, um nicht zu fallen.
Ihr kam in den Sinn, dass Dûrus einen Täuschungszauber über sie geworfen hatte, der vorgaukelte, an diesem Ort zu sein. Ihr Körper könnte sich immer noch auf dem Teppich im Haus des Kaufmanns befinden.
Warum sollte er sich diese Mühe machen? Er hätte uns töten können. Sie tastete sich ab, war tatsächlich unverletzt geblieben. In ihrem Mund schmeckte es leicht verbrannt und nach Asche.Ob Trugbild oder nicht: Wie komme ich von hier weg?
Erneut erklangen die Schreie aus der Ferne. Tomeija sah keine Gestalten zwischen den Steinblöcken.