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Sergant Doyle hatte die Füße auf einen Hocker gelegt. Im Revier war es ruhig, Ärger nicht zu erwarten. Im Fernsehen lief Fußball, da trieb der Pöbel sich nicht auf der Straße rum. Er hatte aus der Kantine ein Plunderstück gemopst und freute sich schon den ganzen Tag darauf.
Er schlugThe Sun auf und wollte gerade zubeißen, als das Telefon klingelte. Nach einem schnellen Bissen nahm er den Hörer ab.
Eine männliche Stimme sagte: »Darf ich vorschlagen, dass Sie diesen Anruf aufnehmen?«
»Alle Anrufe werden routinemäßig aufgenommen.«
Ein Teigklumpen hatte sich in seinem kaputten Backenzahn festgesetzt, er versuchte, ihn mit dem Finger rauszupulen.
Der Mann sagte: »Sie sind mit den Gedanken woanders, wie ich merke.«
Doyle seufzte und sagte: »Ich bin ganz Ohr, glauben Sie mir.«
»Das ist auch gut so. In drei Minuten explodiert eine Bombe. Das ist keine Warnung, eher ein Weckruf. Kennen Sie das Paradise Cinema?«
»Nahe Waterloo Avenue? Liegt da die Bombe?«
In Doyles Ohr gab es einen lauten Knall, instinktiv hielt er den Hörer weg. Als der Lärm erstarb, fragte er: »War sie das?«
Er hörte leises Kichern, dann: »Ups, das Timing ging leicht daneben, daran arbeiten wir noch. Und Sie kümmern sich darum, Dreihunderttausend zusammenzukriegen, damit wir nicht noch eine Bombe legen müssen. Ist ja keine große Summe, oder? Legen Sie los, wir bemühen uns derweil, erst mal nichts mehr in die Luft zu jagen. Morgen rufen wir wieder an und erkundigen uns, wie Sie vorankommen. Ach, falls es Sie interessiert, im Paradise lief irgendein Schrottfilm mit Tom Cruise, wir haben der Öffentlichkeit also einen Gefallen getan. Bis dann.«
Klick.
Doyle behielt den Hörer am Ohr, drückte die Verbindung weg und begann, die betreffenden Abteilungen zu verständigen. Der Teigklumpen hatte seinen Zahn bereits zum Summen gebracht, er sagte laut: »Oh fuck.«
Das Paradise Cinema war eine relativ neue Bereicherung des Kulturangebots im Stadtteil. Es wurde hauptsächlich von Besuchern aus der Nachbarschaft frequentiert und war meistens gut besucht. Die Bombe war in einer der Toiletten explodiert und hatte niemanden verletzt. Panik und Furcht waren jedoch schnell verbreitet; die Menge, aus Angst, es könnte noch eine Bombe hochgehen, hatte sich drängelnd und schubsend auf die Straße hinausgeschoben. Das Sprengstoffteam war angerückt und hatte die Straße abgeriegelt. Superintendent Brown war vor Ort und wies die Beamten an, die Menge zurückzuhalten.
Er brüllte Chief Inspector Roberts an, jeden verfügbaren Mann loszuschicken und alle zu befragen, die eventuell etwas gesehen haben oder wissen könnten. Er fragte: »Wo sind Porter Nash und Ihr Busenfreund Brant? Wo ist der, wenn man ihn sucht?«
Roberts hatte keine Ahnung und sagte: »Keine Ahnung.«
»Sie sind vielleicht ein Scheißpolizist. Da sind hoffentlich keine Terroristen am Werk.«
»Ich glaube nicht, Sir. Der Anrufer hat Geld gefordert. Ich glaube, es geht um einfache Erpressung.«
Brown, kurz vorm Herzkasper, schrie: »Einfach? Seit wann zum Teufel ist Erpressung einfach?«
Roberts wollte zurückschnauzenSie blöder Arsch wissen genau, was ich meine, beließ es aber bei: »Ich glaub nicht, dass es was Internationales ist.«
»Das lässt uns ja alle wieder ruhig schlafen – der Chefdetektiv hat gesprochen.«
Ein Sprengstoffexperte kam aus dem Kino und rettete Roberts davor, antworten zu müssen.
Brown fragte ihn: »Womit haben wir’s zu tun?«
Der Bombentyp sagte: »Unterste Schublade, würde ich sagen.«
Brown atmete tief durch, flehte innerlich den Großmeister der Freimaurer um Geduld an, sagte: »Könnten Sie das so ausdrücken, dass ich Sie verstehe?«
Der Bombentyp wechselte einen Blick mit Roberts, in seinen Augen war zu lesen:Wenn dieses Arschloch dein Boss ist, hast du mein Beileid, Kumpel.
Laut sagte er: »Einfacher geht’s nicht, zwei Dynamitstangen und ein billiger Zeitzünder. Kann jeder Idiot zusammenschustern.«
Brown starrte auf Roberts’ Schuhe. Feste braune Oxfords, auf Hochglanz poliert. Zwei Fragen kamen ihm in den Sinn,Wie kann er sich die leisten? undWer hat Zeit, seine Schuhe so zu putzen?
Er schleppte seinen Blick wieder zum Bombentyp zurück und fragte: »Irgendeine Idee, wer der Idiot sein könnte?«
»Stechen Sie eine Nadel ins Telefonbuch.«
»Das ist ja eine wirklich große Hilfe.«
Der Bombentyp lächelte und trollte sich. Brown wandte sich an Roberts, fragte: »Wo haben Sie die Schuhe her?«
»Was?«
»Sind Sie taub?«
»Oh, äh … ähm, aus dem Schlussverkauf bei Bally.«
»Bally!« Dann: »Wie zum Teufel können Sie sich die leisten?«
»Das Haus ist verkauft.«
»Das soll eine Antwort sein?«
»Eine andere hab ich nicht.«
Brown warf einen letzten Blick auf die Schuhe, dann: »Ich erwarte morgen früh einen Bericht auf meinem Tisch, und halten Sie Brant von der Sache fern.«
Düster murmelnd ging er von dannen. Roberts war versucht, ihmVergelt’s Gott nachzurufen, aber das hätte den Bogen überspannt.
PC Falls war wieder einmal durch die Sergeant-Prüfung gerasselt. Sie nahm die Nachricht nicht gut auf, sagte: »Rassistische Arschlöcher.«
Porter Nash, vor Kurzem zum Detective Inspector befördert, kam an und versuchte es mit: »Nächstes Mal klappt’s bestimmt, oder?«
Falls war der feuchte Traum des Reviers, hatte sich aber im Lauf des letzten Jahres einen Furcht einflößenden Ruf verschafft. Trotz ihres hübschen Gesichts und der guten Figur mieden die Jungs sie. Es ging das Gerücht um, sie hätte möglicherweise einen Polizistenmörder umgebracht.
Nicht einfach umgebracht.
Nein, der Typ war buchstäblich in Stücke gerissen worden. Die Spurensicherung hatte im ganzen Zimmer verteilt Körperteile gefunden. Die Nase klebte an einem Flachbildschirm. Zumindest ein Stück Nasenscheidewand. In der Kloschüssel schwamm etwas, das man schließlich als linkes Auge identifizierte. Auf dem breiten Bett lagen Zähne verstreut. Als Einzelheiten der Schlachtung durchsickerten, hielten alle sofort einen Cop für den Täter.
Denkbar waren:
Brant … natürlich. Er stand bei jedem Vergehen oben auf der Liste: Er war gesetzt. Kaum jemand hätte dagegen gewettet.
Danach, als klarer Außenseiter, folgte Porter Nash, weil er in seiner Zeit in Kensington persönliche Rache an einem Pädophilen genommen hatte.
Falls wurde zunächst nicht ernsthaft in Betracht gezogen, aber im Laufe der Zeit schoben Spekulationen und Gerüchte sie ganz nach oben.
Hochgeschossen auf die Eins.
Sergeant Brant war schon lange das tiefschwarze Schaf Südost-Londons. Verbrecher und Cops waren in Furcht vor ihm vereint. Er genoss und pflegte seinen Ruf als »Tier«. Der Unfalltod des Clapham-Vergewaltigers wurde ihm zugeschrieben. Diese Art gesetzloser Gerechtigkeit fand quer durch die Ränge allgemeine Bewunderung. Superintendent Brown hatte über die Jahre mehrfach, aber erfolglos versucht, ihn loszuwerden. Er träumte immer noch davon, Brant in Verruf zu bringen.
Falls sah Porter an, stützte die Hände in die Hüften und versuchte, Gift und Galle runterzuschlucken, was ihr aber nicht gelang. Sie spie: »Nächstes Mal? Du arroganter Wichser, hast du eine Ahnung, wie oft ich diese Scheißprüfung schon gemacht hab?«
Porter sah sich nervös um; die anderen Cops feixten und hofften auf mehr. Er streckte die Hand aus, tätschelte ihre Schulter, sagte: »Ich hol dir einen Tee.«
Sie stürmte davon, und Porter sah ihr ratlos nach. Der diensthabende Sergeant, ein widerlicher Mistkerl, hob den Daumen. Porter seufzte, trabte los und sah Falls gerade noch im Cricketers Pub verschwinden. Als er dort ankam, saß sie bereits an einem Ecktisch.
Er ging zu ihr, fragte: »Was möchtest du?«
»Schon erledigt. Hab für dich mitbestellt.«
Porter sah zum Barmann hinüber. Bildete er sich das ein oder zwinkerte der Typ ihm zu? Herrgott noch mal.
Porter setzte sich, und Falls fragte: »Rauchst du noch oder hast du seit deiner Beförderung auch den kleinen Freuden abgeschworen?«
Er griff in die Tasche seiner Jacke – ein schickes Lederteil von Gap – und legte eine grüne Packung auf den Tisch.
Falls schnaubte, dann: »Mentholkippen! Wie schwul ist das denn?« Sie zog eine heraus, roch daran, schaffte es, der Geste einen Hauch von Sinnlichkeit zu verleihen, schnippte dann mit den Fingern, sagte:...