Teil eins:
Illusion
Ein schimmernder schwarzer Sarg steht einige Meter vor uns, und ein Baldachin schützt uns notdürftig vor dem kalten Dezemberwetter in Texas. Ich trage ein schwarzes Kleid und einen Regenmantel, wie es für einen regnerischen Donnerstag, an dem einem das Herz aus dem Leib gerissen wird, passend ist. Tellar, mein Bodyguard und Freund, steht zu meiner Linken, während Liam, der Mann, den ich von ganzem Herzen liebe, rechts neben mir steht und mir einen Arm um die Taille gelegt hat, um mich zu stützen. Dennoch schwanke ich und habe wacklige Beine, sodass mir Tellar eine Hand auf den Ellenbogen legt. Meine Augen brennen, da diese Berührung fast schon brüderlich ist und weit über seine professionellen Pflichten als mein Beschützer hinausgeht. Außerdem erinnert mich das an den Bruder, den ich verloren habe.
Wir sind allein. Die überraschend große Menschenmenge hat sich aufgelöst, aber darunter waren auch Freunde meiner lange verlorenen Familie; Gelehrte, die die Arbeit meiner Eltern bewundern, Schatzjäger, die meinen Bruder gekannt haben, und Bürger von Jasmine Heights, der Stadt, die einst mein Zuhause gewesen ist. Dank des Tagebuchs, das Chad an der Unfallstelle hinterlassen hat und das alle schmutzigen Details über unsere Vergangenheit enthält, kennen sie mich heute alle wieder eher als Lara denn als Amy. Er hat in diesem Tagebuch Dinge über mich verraten und wie er mich zu meinem Schutz versteckt und in dem Glauben gelassen hat, er wäre tot.
Es donnert laut, aber ich zucke nicht zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass in meinem Kopf und meinem Herzen ebenfalls unzählige Explosionen geschehen. Was macht da eine weitere schon aus? Da ich mir bewusst bin, dass wir immer beobachtet werden, wappne ich mich und rechne mit neugierigen Blicken, als ich mich von Liam und Tellar entferne. Langsam trete ich neben den Sarg, der während der gesamten Trauerfeier geschlossen war, ziehe einen Handschuh aus und drücke die bloße Hand gegen das glänzende Holz. Eine Eiseskälte, die eher darauf beruht, dass ich meinen Bruder verloren habe, als auf den Wetterbedingungen, dringt durch meine Handfläche und bis tief in meine Knochen. Mich beruhigt allein die Tatsache, dass meine Beschützer sofort neben mir erscheinen und mich mit ihren breiten Körpern vor dem Wind und dem Regen abschirmen.
»Amy«, sagt Liam leise. »Du weißt, dass das …«
»Ich weiß, was das ist«, flüstere ich und lege den Kopf schief, um ihn anzusehen. Die Sorge in seinen durchdringenden wasserblauen Augen lässt eine Verbundenheit zwischen uns entstehen, die ich brauche. »Wirklich«, füge ich hinzu, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich das für ihn oder für mich tue. »Aber für mich fühlt es sich trotzdem in vielerlei Hinsicht echt an.«
Er nimmt meine Hand und führt meine Fingerknöchel an seine Lippen, um einen Augenblick so zu verweilen. »Lass uns nach Hause fahren.«
»Nach Hause?«, murmele ich, und dieses Wort wirkt bittersüß auf mein schmerzendes Herz. Seit dem Tag, an dem meine Eltern nur wenige Kilometer von dieser Stelle entfernt bei einem Brand ums Leben gekommen sind, hat es für mich keinen Ort mehr gegeben, der ein Zuha