1.WIE BRENZLIG DIE SITUATION IST
Es gab einen Schlüsselmoment, der mir die Ernsthaftigkeit der Lage klarmachte. Auf den ersten Blick war es ein unscheinbarer, harmloser Anlass, der mir dennoch monatelang in Erinnerung blieb, an den ich immer wieder denken musste, wenn ich im Internet wütende Kommentare oder auch Falschmeldungen las.
Im Juni 2015 führte ich ein Telefoninterview mit einer „besorgten Bürgerin“. Ich hatte damals für einen Artikel zum Thema „Lügenpresse“ recherchiert und Menschen auf Facebook angeschrieben. Mich interessierte, warum sie sich online so enttäuscht oder gar erzürnt über Journalisten äußerten. Das Problem: Die meisten wollten nicht mit mir reden, einige antworteten nicht, andere schrieben Sätze wie: „Uns interessieren ‚unabhängige Medien‘ wie Sie nicht – danke. Schreiben Sie einfach, was Sie wollen, Sie machen das sowieso.“ Auch wurde mir vorgeworfen, ich sei ohnehin „gekauft“.
Dann aber – endlich! – bekam ich eine Facebook-Nutzerin an den Apparat: eine zweifache Mutter aus Westösterreich. Nur unter der Voraussetzung und der Zusage, ihren Namen nicht zu veröffentlichen und private Details auszulassen, stimmte sie einem Interview zu.
Am Telefon hatte ich dann eine Frau, der die Angst regelrecht in der Stimme lag. „Ich steh in der Früh mit Zweifeln auf und leg mich abends mit Zweifeln nieder“, sagte sie. Sie war eine höfliche, gebildete, aber mir gegenüber durch und durch skeptische Interviewpartnerin. Sie wollte anonym bleiben, um später nicht als „Nazi“ beschimpft zu werden – ein Vorwurf, der online in ihren Augen zu leichtfertig ausgesprochen wird. Sie erzählte mir, sie üb