: Helmut E. Lück
: Die psychologische Hintertreppe Die bedeutenden Psychologinnen und Psychologen in Leben und Werk
: Verlag Herder GmbH
: 9783451809996
: 1
: CHF 17.40
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: Lebensführung, Persönliche Entwicklung
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Psychologie ist eine dynamische und vielschichtige Wissenschaft. Erstmals erhält der Leser in diesem Buch einen Überblick über die gesamte Entwicklung der Psychologie von den Anfängen bis in die Gegenwart. Dem Autor gelingt es, die Lebensgeschichten der wichtigsten Wissenschaftler und deren bahnbrechenden Entdeckungen und Experimente zu einer einzigartigen Geschichte der Psychologie zu verbinden -- kurzweilig, lehrreich und faszinierend.

Helmut E. Lück ist emeritierter Professor für Psychologie mit den Schwerpunkten Sozialpsychologie und Geschichte der Psychologie. Er lehrte und forschte an den Universitäten Köln, Duisburg, Göttingen und Hagen (Fernuniversität).

Wilhelm Wundt
Experimentelle Psychologie und Völkerpsychologie – die Leipziger Schule


Wilhelm Wundt (1832–1920) wird in fast jedem Lehrbuch der Psychologie erwähnt, weil er bereits 1879 das erste Institut für Psychologie gründete, das Vorbild für viele ähnliche Institute in aller Welt wurde. Aber was war sein Interesse? Welche Psychologie wollte er als Philosoph mit medizinischer Ausbildung entwickeln?

Trotz der Bekanntheit Wundts ist seine Psychologie etwas undurchsichtig. Das liegt an seinen theoretischen Schriften, die vom Mainstream seiner Zeit abwichen, es liegt an seinem langen Wirken, in dem er dies und das geändert hat, und es liegt an seiner Streitbarkeit als Person. Es liegt aber auch an seinen Schülern, Biografen und Wissenschaftshistorikern, die seine Anliegen bis in die Gegenwart hinein unterschiedlich interpretiert haben. So gibt es auch heute noch eine lebendige Diskussion seiner Ansätze und seines Werkes.

Wilhelm Maximilian Wundt wurde im August 1832 in Neckarau (heute ein Stadtteil von Mannheim) als Sohn eines evangelischen Theologen geboren. Die Familie zog schon sehr bald nach Leutershausen am Odenwald, da sich im Gebiet der Neckarmündung Malaria ausgebreitet hatte. In Heidelsheim trat der Vater im Sommer 1836 die Pfarrstelle an. Vermutlich war es hier im Pfarrhaus, wo der kleine Wilhelm die Kellertreppe herabgestürzt ist, sein frühestes Kindheitserlebnis. Hochbetagt glaubte er, »noch heute die Stöße zu spüren«, mit denen er mit dem Kopf auf die Stufen schlug (Wundt, 1920, S. 1f.). Ob dieses Erlebnis weitere Folgen hatte, wissen wir nicht.

Wilhelm Wundts Kindheit war wohl durch Einsamkeit und Tagträume geprägt. 1840 erlitt der Vater mit 53 Jahren einen schweren Schlaganfall, der ihn arbeitsunfähig machte. An seiner Stelle trat der Vikar Friedrich Müller als Hilfsgeistlicher in den Dienst der Gemeinde ein. Und Müller wurde nun auch in der Familie Wundt praktisch Wilhelms Erzieher. Durch ihn lernte er Latein, und einiges spricht dafür, dass Wundt eine enge Beziehung zu dem jungen Geistlichen aufbaute. Beim Eintritt in die reguläre Schule erlebte Wundt dann eine heftige Enttäuschung: Er war an den Klassenbetrieb und die strengen Strafen des Lehrers nicht gewöhnt und flüchtete sich in Tagträume. Diese Fantasien begleiteten ihn viele Jahre. Wundt selbst vermutete später, dass hier bereits das Interesse für den Blick auf das eigene Innenleben entstand, das die Grundlage für seine spätere wissenschaftliche Psychologie bereitet habe. Eine einfachere Erklärung wäre die, dass der junge Wundt in dem Dorf einsam und in der Schule unterfordert war. Jedenfalls wechselte Wilhelm zur Schule nach Heidelberg, wo er wieder mit seinem Bruder Ludwig zusammenkam und dann kaum noch schulische Probleme auftraten.

Nach dem Abitur im Herbst 1851 begann Wilhelm Wundt das Medizinstudium in Tübingen, dort lehrte sein Onkel Friedrich Arnold Anatomie. Zwar war Medizin nicht Wundts Wunschfach, allerdings erlebten in dieser Zeit die N