Kaktusmenschen
und andere Unholde
Zur Durchsetzung des beherrschenden Einflusses
bedient sich der Aggressor gewisser Vorgehensweisen,
die die Illusion von Kommunikation bieten –
einer eigenartigen Kommunikation, nicht geschaffen,
um zu verbinden, sondern fernzuhalten
und jeglichen Austausch zu verhindern.
M.-F. Hirigoyen2
Sie brüllen herum.
Sie hüllen sich in tagelanges Schweigen.
Sie verspotten ihr Gegenüber, am liebsten vor Publikum: Kaktusmenschen – Menschen, die sich Dornen und Stacheln haben wachsen lassen und sie bevorzugt dort einsetzen, wo eigentlich vertrauensvolle Zusammenarbeit angesagt wäre: im Beruf wie in der Partnerschaft.
Dann sitzen verzweifelte Männer oder Frauen in meiner Praxis auf meiner weißen Ledercouch und fragen, was denn an ihnen oder ihrem Verhalten so arg wäre, dass ihre Vorgesetzten, Partnerpersonen, Vater oder Mutter oder sonst irgendwer sie wie den letzten Dreck behandelten. Dann kommt es immer wieder vor, dass ich sie warne: »Halten Sie bitte Distanz! Vermeiden Sie, dicht heranzutreten – einen Kaktus umarmen Sie ja auch nicht!« Und oft setze ich noch hinzu: »… oder ist es Ihr Ziel, blutig gestochen zu werden?«
So bildete sich mit der Zeit vor meinem geistigen Auge das Bild von diesen »Kaktusmenschen« heraus – Menschen, denen man nicht zu nahe kommen sollte, weil sie stachelig sind oder Dornen haben, weil sie sticheln und stechen, anstacheln und aufstacheln, mal nur pieken, dann aber wieder erstechen, oft nur hervorstechen wollen und andere ausstechen und manchmal auch bestechen (im Doppelsinn des Wortes) … denn manchmal präsentieren Kakteen ja wunderschöne Blüten. Da vergisst man leicht die vielen Stacheln …
Es gibt aber auch Kaktusmenschen, die tauchen als Disteln oder Kletten auf. Manche tarnen ihre Dornen unter Rosenblüten, oder ihre Winzigstacheln sind so klein, dass man erst bei näherem Kontakt merkt: Vorsicht, Brennnessel!
Allerdings wirkt jemand manchmal nur wie ein Kaktusmensch, ist in Wirklichkeit aber »nur« erschöpft und ausgebrannt und deshalb aggressiv und nicht mehr fähig oder aber auch willens, eine zivilisierte Kommunikationsform zu pflegen.
Es gibt aber auch sozial inkompetente Menschen, die einfach nicht gelernt haben – und auch nicht nachlernen wollen –, wie man mit den eigenen unangenehmen Gefühlen wie Bedrängnis, Unwissenheit oder Hilflosigkeit anders als mit Grobklotzigkeit umgehen kann.
Und dann gibt es noch Verhaltensweisen, die Symptom einer Charakterneurose oder einer anderen behandlungsbedürftigen seelischen Störung sind, wie das Borderline-Syndrom etwa.
Exkurs in die Tiefenpsychologie
Der Mangel an positiven inneren Figuren …
unterstreicht die Wichtigkeit der Vereinigungserfahrung
für die Umwandlung der toten, verfolgenden, inneren Welt
in einen Ort liebevoller Unterstützung.
N. Schwartz-Salant3
»Kakteen«, lese ich in wikipedia4, »sind ausdauernde Sträucher, seltener Bäume.«
Ja, ausdauernd sind sie auch, die Kaktusmenschen, konsequent in der Perfektionierung ihres Kommunikationsstils der kleinen oder großen Stiche. »Hauptsprosse und Zweige wachsen meist aufrecht oder aufstrebend, manchmal auch kriechend oder hängend.«
Kaktusmenschen zielen auf Überlegenheit und neigen meist zur Überheblichkeit; bewusst ist i