1. KAPITEL
3. März 1816 – im Hafen von London
Das Wasser ist grau, wie alle sagten.“ Ashe Herriard lehnte sich über die Reling und betrachtete das breite Band der Themse aus zusammengekniffenen Augen. Winzige Boote und riesige Schoner, neben denen selbst ihr Viermaster klein wirkte, drängten sich dicht an dicht auf dem Fluss. „Ich wusste gar nicht, dass es so viele Grautöne gibt. Und Braun, Beige und Grün. Aber das Grau überwiegt.“
Er hatte erwartet, London abscheulich und fremdartig zu finden, aber nun kam es ihm alt, wohlhabend und seltsam vertraut vor, obwohl er aus tiefstem Herzen der Stadt und all dem, was sie repräsentierte, zu grollen versuchte.
„Allerdings regnet es nicht, obwohl Mrs. Mackenzie behauptet hat, dass es hier immerzu regnet.“ Sara stellte sich, eingewickelt in einen dicken Umhang, neben ihn. Ihre Zähne klapperten vor Kälte, trotzdem klang sie fröhlich und aufgeregt. Sie deutete nach vorn. „Schau, es gibt sogar eine Festung.“
„Das ist der Tower of London“, erklärte Ashe. „Wie du siehst, sind mir unsere Lektionen im Gedächtnis geblieben.“
„Ich bin beeindruckt, Bruderherz.“ Sie zwinkerte ihm zu, doch als sie den Blick nach rechts schweifen ließ, trübte sich ihre Miene. „Mata hält sich tapfer.“
Ashe folgte ihrem Blick. „Weil sie lächelt, meinst du? Wie es scheint, geben sie sich beide tapfer.“ Ihr Vater hielt ihre Mutter im Arm, was nicht ungewöhnlich war. Sie stellten ihre Zuneigung, selbst nach den Maßstäben der etwas unkonventionelleren Gesellschaft in Kalkutta, oft unverhohlen offen zur Schau. Allerdings kannte er seinen Vater gut und wusste, was die gelassene Miene und die fest zusammengepressten Lippen bedeuteten: Der Marquess of Eldonstone wappnete sich für einen Kampf.
Auch wenn der Kampf bloß in seinem Kopf stattfand – gegen die Erinnerungen an ein Land, das er vor über vierzig Jahren verlassen hatte –, war er durchaus real. Mit seinem Vater zerstritten und verheiratet mit einer Halbinderin, die entsetzt war, als sie herausfand, dass ihr Mann einen englischen Adelstitel erben würde und eines Tages nach England zurückkehren musste, hatte Colonel Nicholas Herriard seine Rückkehr bis zum letzten Moment hinausgezögert. Nun, als Marquess, konnte er jedoch keinen diplomatischen Dienst in der East India Company mehr leisten, und er hatte nach England zurückkehren müssen, um dort seine Pflicht zu erfüllen.
Ebenso wie ich, dachte Ashe, während er zu seinem Vater schlenderte. Er würde alles tun, um seinen Eltern die Bürde ein wenig zu erleichtern, selbst wenn er sich dazu in diese fremdartige Spezies – einen perfekten englischen Gentleman – verwandeln musste. „Ich gehe mit Perrott von Bord und sehe nach, ob Tompkins schon hier ist.“
„Danke. Ich möchte nicht, dass deine Mutter und Schwester am Kai warten müssen.“ Sein Vater deutete zum Kai. „Gi