: Eduard Graf von Keyserling
: Fräulein Rosa Herz Eine Kleinstadtliebe
: Books on Demand
: 9783839120460
: 1
: CHF 0.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 340
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eduard Graf von Keyserling (2.5.1855 - 28.9.1918), war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker. Keyserlings Roman"Fräulein Rosa Herz" wurde 1887 veröffentlicht.

Eduard Graf von Keyserling (2.5.1855 - 28.9.1918), war ein deutscher Schriftsteller und Dramatiker.

2. Kapitel


Als Rosa Herz ihr siebzehntes Jahr erreicht hatte und Primanerin der Schankschen Schule war, gab ein jeder im Städtchen es zu, dass Rosa ein sehr hübsches, lustiges und gutes Kind sei. Nur eines ward ihr mit Recht vorgeworfen: Sie glaubte berechtigt zu sein, ohne irgendeinen triftigen Grund jede beliebige Unterrichtsstunde versäumen zu dürfen, nur weil die Sonne gerade besonders hell schien oder weil, sie sie meinte, Fräulein Schanks Gesicht ihr heute besonders zuwider war. Wenn ihre Mitschülerinnen sich auf die Bänke setzten und gespannt auf die Türe blickten, durch welche die Lehrerin eintreten sollte, stülpte Rosa den braunen Sommerhut gleichmütig auf den blonden Kopf und verließ mit verbindlichem Lächeln, als täte sie das Selbstverständlichste von der Welt, das Zimmer. Dagegen vermochten weder Strafarbeiten noch Ermahnungen, noch die strengsten Verweise etwas auszurichten.

Nachlässig, als gäbe es keine Lehrerin, die ihr begegnen könnte, stieg sie die Stufen der Treppe hinab und ging ihres Weges. Sie setzte die Füße dicht voreinander und trat stärker mit der Spitze auf, was der ganzen Gestalt im verblichenen grauen Sommermäntelchen ein leichtes Hin- und Herschwanken, eine freie, sorglose Bewegung gab, wie man sie oft bei Knaben aus dem Volke findet, deren Glieder nie durch einen Zwang beengt werden. Die blonden Haare flatterten unter dem verbogenen Hute hervor; sie waren zu leicht, um lange Ordnung halten zu können. Unter der geraden, runden Nase stand ein sehr beweglicher Mund mit ein wenig breiten, sinnlichen Lippen; die Mundwinkel jedoch waren ganz spitz und hinaufgebogen, was dem Gesichte etwas Kluges, Nachdenkliches verlieh. Die Augen aber waren es, die diesem Mädchen jene frische Klarheit gaben, die den Gesamteindruck ihrer Persönlichkeit bildete; runde, hellblaue Augen unter rötlichen Augenbrauen; ein Blau, das für Licht und Freude so empfänglich und eines intensiven, fast scharfen Glanzes fähig ist.

Langsam schritt Rosa an den Gartenzäunen der engen Gasse entlang. Einer Kindsmagd, die auf einem Gartenwege mit einem Kinde spielte, winkte sie einen Gruß zu, sang einen Liedervers mit tiefer Stimme vor sich hin und pflückte zerstreut die sonnenwarmen Blätter von den Hecken, um sie wieder zu verstreuen.

Die »Schulgasse« mündete in den »Stadtgarten« – den Stolz der Bürgerschaft: ein anmutiges Stück Rasenland, niedrige, künstlich aufgeführte Hügel; eine grün angestrichene Hängebrücke; kleine Lauben allerorts, runde Plätze, mit jungen Kastanien und Linden besetzt. Auf der Westseite ward der