Auf den Weg
„Griaß eich!“ – „Griaß di!“ – Hias sitzt am Steuer, Sepp sitzt neben ihm. An der Bushaltestelle an der Mattseer Landstraße steige ich in den roten VW-Bus ein. Im rückwärtigen Bereich suche ich mir einen Platz zwischen Arbeitsgeräten und allerlei Material. Es ist 13.15 Uhr, wie wir vereinbart hatten. Auf meine Freunde vom OGV ist Verlass. Freunde, na gut, stimmt so nicht, Freunde ist nicht das passende Wort. Vereinskollegen ist besser. Die Männer und Frauen, die ich in den Ausschusssitzungen des Obst- und Gartenbauvereins Bergheim treffe und mit denen ich etliche Veranstaltungen durchführe, sind Kolleginnen und Kollegen, wir sind Gleichgesinnte mit einem gemeinsamen Interesse. Das Spielfeld der Freundschaften liegt woanders. Das eine, die Vereinskultur, entspricht nicht dem anderen, dem Freundeskreis, und sollte nicht miteinander verwechselt werden. Gegen ein Vermischen wäre nichts einzuwenden. Denn wenn Kollegen Freunde werden, rückt die Welt zusammen.
Wir fahren aus der Busbucht, als hinter uns ein Auto identifiziert wird, das weitere Leute des Vereins mit sich bringt. „Der Franz ist hinter uns“, stellt Hias fest. Franz ist unser Obmann, er hat den Ausflug organisiert. Die Fahrt zum Obstschaugarten vom „Flieger“. An diesem Juli-Sommertag wollen interessierte Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Bergheim einen im ganzen Land bekannten Obstgarten besichtigen. Manche fahren nicht das erste Mal zu seiner Anlage. Die Apfelbäume des Herrn Flieger sind ein Begriff. Jeder, der sich mit Obstkulturen, speziell dem Apfelanbau, beschäftigt, hat schon mal was vom „Flieger“ gehört.
So war auch ich bereits vor Jahren auf diesen Namen gestoßen. Als mein Interesse an den Obstbäumen erweckt war und kurze Zeit später eine milde Form der Manie erlangt hatte, war ich bei der Suche nach Informationen und Informanten auf einen Apfelzüchter mit großem Schaugarten irgendwo in der Nähe von Obertrum gekommen. Er heiße Flieger, er sei ein alter Mann. Er habe wunderschöne Apfelbäume mit vielen verschiedenen Sorten. Ein geheimnisvoller Ort war in meiner Fantasie entstanden. Und ich machte mich auf den Weg.
Der Name Flieger war mir als Inbegriff für Wissen und Weisheit in einem verheißungsvollen Sachgebietbekannt geworden. Eine große Faszination ging von der Vorstellung aus, es gäbe einen kleinen Garten Eden, angelegt von einem Mann, der dort zwischen seinen Bäumen wandelt und mit diesen Bäumen lebt und alt geworden war, sie pflegt und gesund erhält und jahrelang ihr Wachsen und Fruchten beobachtete und auf diese Weise ein enormes Wissen sammeln konnte.
Ich befand mich erst am Anfang einer Leidenschaft, die mich zu ergreifen schien. Er, Flieger, war wohl schon an ein Ende angelangt, so meinte ich damals.
Jetzt stehe ich kurz davor, jener Gestalt, die aus meiner Sicht durchaus im Nimbus des Legendenhaften angelangt war, zu begegnen. Seit dem Moment, als Franz uns den Termin für diese Ausflugsfahrt nannte, habe ich mich darauf gefreut. Nun, auf der Rückbank des VW-Busses, bin ich erwartungsvoll aufgeregt.
Die Fahrt Richtung Obertrum verläuft kurzweilig. Jeder gewährt kurze, aktuelle Einblicke in seinen Alltag. Hias, der Breitbauer, weiß von Schlägerungsarbeiten zu berichten, von Rodungen in einem Waldstück auf seinem Grund. Ich frage nach, warum jetzt, in dieser Jahreszeit, Bäume umgeschnitten werden. Wenn’s um Bäume geht, horche ich auf und bin wissbegierig. Der Käfer war reingeraten und hatte ein paar Fichten vernichtet. Die wurden entfernt, die kahlen und ein paar alte Fichten dazu, aber dadurch standen plötzlich die Buchen im vollen Sonnenlicht. Hias redet auch gerne über Bäume, das merkt man. Er sei erstaunt, wie rasch die Buchenblätter reagierten. Er mache sich Sorgen, dass die Buchen Schaden nähmen, weil sie so leicht einen Sonnenbrand kriegen. „Sonnenbrand?“, frage ich.