: O?uz Atay
: Der Mathematiker Mit einem Nachwort von Gürsel Aytaç. Roman. Türkische Bibliothek
: Unionsverlag
: 9783293306042
: 1
: CHF 16.90
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Ingenieur und Mathematiker Mustafa Inan ist ein Universalgelehrter: Zwar fiel er mit vier Jahren vom Dach, und sein Vater bezweifelt zeit seines Lebens, dass aus dem schwächlichen Jungen noch etwas Rechtes wird. Doch bald machen ihn sein mathematisches Genie, sein phänomenales Gedächtnis und seine eiserne Willenskraft zur Legende. Eine Promotion in der Schweiz befördert seine wissenschaftliche Karriere an der Technischen Universität Istanbuls, wo er schließlich Dekan und Rektor wird. Der eigenwillige Forscher und Lehrer verzweifelt jedoch an der Denkfaulheit, die sich in den Köpfen der Dozenten und Studenten wie eine Geisteskrankheit eingenistet hat. Unermüdlich sucht er nach einer Möglichkeit, die Logik Einsteins und die intuitive Weisheit der Sufi-Mystiker miteinander in Einklang zu bringen.

Oguz Atay, geboren 1934 in Inebolu im Norden der Türkei, war nach dem Studium mehrere Jahre lang als Dozent für Bauwesen an der Technischen Universität in Istanbul tätig. 1972 erschien Oguz Atays erster Roman Die Haltlosen, ein Jahr darauf Gefährliche Spiele, die beide zu den bedeutendsten Werken der türkischen Romanliteratur zählen. Er starb 1977 in Istanbul.

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Der Preis für wissenschaftliche Leistungen

An einem heißen Tag im Frühjahr stand ein mittelgroßer, dunkelhäutiger junger Mann mit scheuem Blick vor dem großen Tor der Universität. Jemand verstellte ihm den Weg, dem dunklen Anzug und dem mürrischen Gesichtsausdruck nach zu urteilen ein Beamter, der wohl dachte, der schäbig gekleidete junge Mann mit dem offenen Kragen wolle in der Kühle hinter dem großen Tor Schutz vor der Hitze suchen: »Wohin des Wegs, Landsmann?« Wieso Landsmann, fragte er sich. Würdest du mir denn den Weg versperren, wenn wir Landsleute wären? »Zur Naturwissenschaftlichen Fakultät«, sagte der schwarzhaarige junge Mann und wiederholte dann, als hätte er vergessen, in welcher Stadt er war: »Zur Naturwissenschaftlichen Fakultät von Ankara.« »Ja, das ist hier, und worum gehts?« Der junge Mann steckte den zerknitterten Kragen ins Jackett und murmelte so etwas wie: »Um die Aufnahmeprüfung.« Dann hob er wieder den Kopf und schaute ihn an. Das dunkle Hindernis, das ihm das Tor versperrte, streckte seinen bevollmächtigten Arm aus, um ihm die Richtung zu weisen: Dort, die schmale Eisenpforte. Und hatte den jungen Mann auch schon wieder vergessen.

Vor den Listen mit den Prüfungsresultaten gab es ein großes Gedränge. Er wollte sich nicht unter die Leute mischen, die sich in dem dunklen Korridor herumschubsten, sondern ging ein Stück weiter, bog um die Ecke, stieß mit der Schulter eine Schwingtür auf und entfernte sich von dem Lärm und den Mutmaßungen über die erreichten Punkte, die Zahlen und Kommata.

Irgendwo dort, wo die Korridore endeten, in einer Fensternische, die von der Sonne beschienen wurde, rauchte er eine seiner billigen Zigaretten, deren Tabak immer in die Taschen seines Jacketts bröselte. Dann geriet er in einen anderen Gang, der genauso still dalag. Als er später zurückgehen wollte, hatte er sich auch schon verirrt. Wieder habe ich mich verlaufen, ärgerte er sich. Was solls, ich bin nun mal aus der Provinz. Schon »mein Landsmann« am großen Tor hat mir das an den Augen abgelesen.

Er sah sich die Schilder an den Türen an: Professorennamen auf Messingtafeln. Eine weit entfernte und schwer vorstellbare Zukunft … Im Moment hatte er noch nicht einmal den Mut, an die geschlossenen Türen zu klopfen. Er ging weiter. Schließlich war da eine helle Tür mit Glasscheiben, und schon stand er wieder unter der heißen Sonne. Er müsste das riesige Gebäude umrunden und noch einmal die schmale Eisenpforte suchen. Man muss ständig hinter den Punkten her sein, ob ich wohl mehr als dreihundert habe? Nebenan war noch ein Gebäude. Auch vor diesem Tor herrschte großes Gedränge. Und viel Aufsichtspersonal war zu sehen. Leute gingen hinein, denen man ansah, dass ihnen der Kummer um Prüfungsresultate fernlag; sie strömten regelrecht durch die Tore. Wenn du eine Menschenmenge siehst und ordentlich angezogen bist, tritt ruhig näher, denn dann darfst du hinein. Er überwand das erste Hindernis, indem er sich das Gewimmel zunutze machte. Er streckte den Hals und versuchte hineinzuschauen. »Was ist denn dort los?« Möglicherweise hatte er dabei einen älteren Mann, mittelgroß und