1. KAPITEL
Chance Barron wusste immer, was er wollte. Und im Moment wollte er die attraktive Blondine an der Hotelbar.
Es war Ende März. Ein Blizzard hatte den Flughafen Chicago O’Hare lahmgelegt. Laut Wettervorhersage sollte der Sturm am Morgen vorbei sein. Dann würde er die erste Maschine zurück nach Oklahoma City nehmen. In der Zwischenzeit konnte er sich um die Frau kümmern, die die Martinis hinunterkippte wie Wasser. Von dort, wo er saß, war sie nur von der Seite sehen. Kinn und Hals bildeten ein elegantes Profil. Die rote Jacke und die schwarze Hose waren modisch – und trotz des Schnees trug sie Stiefel mit unglaublich hohen Absätzen.
Sie bestellte noch einen Martini. Er sah zu, wie ihre schlanken Finger mit dem Plastikspieß spielten. Ihre vollen Lippen schlossen sich um die reife Olive – und ließen eine ganze Reihe erotischer Bilder vor Chances geistigem Auge ablaufen. Er unterdrückte ein Stöhnen. Ein One-Night-Stand wäre jetzt genau das Richtige. Vielleicht würde ihn das in eine entspanntere Stimmung bringen für das bevorstehende Treffen mit seinem alten Herrn.
Cyrus Barron. Gedanken an seinen Vater drängten sich immer zu den unpassendsten Momenten auf. Wahrscheinlich, weil der Mann eine solche Naturgewalt war. Öl, Land und Rinder. Politik und Medien. Ganz gleich, welchen Bereich man wählte, Cyrus Barron war überall eine große Nummer. Zu schade, dass seine Sympathiewerte nicht mithalten konnten. Er hielt seine Söhne an der kurzen Leine, und Chance war keine Ausnahme. Er hatte zwar seine eigene Anwaltskanzlei, aber die Familie war sein größter Mandant. Obwohl er mit dem Zuchtbetrieb nichts zu tun hatte, hatte sein Vater ihn auf die Suche nach einem Hengstfohlen geschickt – einem Fohlen, das es in Illinois eindeutig nicht gab.
Die Bedienung kam zu ihm, auf den Lippen ein spürbar interessiertes Lächeln. Er lehnte ihr Angebot eines weiteren Drinks ab und reichte ihr eine Fünfzig-Dollar-Note. „Der Rest ist für Sie.“ Er erhob sich und ging zur Bar – nur um feststellen zu müssen, dass die Unbekannte inzwischen verschwunden war.
„Verdammt!“ Aber weit konnte sie nicht gekommen sein. Er würde sie finden und ein flammendes Plädoyer dafür halten, sich in dieser kalten Nacht gegenseitig zu wärmen.
Cassidy Morgan stand am Fenster der Hotellobby. Dicke Schneeflocken trieben vorbei – sie kam sich vor wie in einer überdimensionalen Schneekugel. Für einen Moment schloss sie die Augen.
„Ich schaffe es nicht mehr rechtzeitig, oder?“, fragte sie leise in ihr Handy.
„Nein, Babygirl.“ Baxter – Boots – Thomas hielt nichts davon, um den heißen Brei herumzureden. „Die Ärzte wissen nicht, wie er es überhaupt so lange geschafft hat.“
Sie hörte das leise Piepen der Monitore im Hintergrund. Die Resignation in der Stimme des ältesten Freundes ihres Vaters war unverkennbar.
„Hältst du ihm das Telefon ans Ohr? Ich weiß, er kann mich nicht hören, aber …“ Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen.
„Okay“, hörte sie Boots’ gedämpfte Stimme.
Zögernd begann sie, zu ihrem Vater zu sprechen. Sprach von Erinnerungen. Schließlich brach ihre Stimme, und sie weinte nur noch. Als ihre Mutter an einer Lungenentzündung gestorben war, war Cassie gerade drei Jahre alt gewesen – zu klein, um den emotionalen Schmerz bewusst zu registrieren. Abe