1. KAPITEL
Liebe auf den ersten Blick? Niemals. Das gibts nur im Film. Hätte jemand Kenzie Daniels prophezeit, dass ausgerechnet ihr das passieren würde, wäre sie in schallendes Gelächter ausgebrochen. Und dabei ging es auch noch um einen siebenjährigen Jungen!
Dennoch, genau das hatte sich ereignet – an einem Ort, an dem Kenzie es niemals erwartet hätte: Am Strand, in der Nähe ihres Hauses.
Bis spät in die Nacht hinein hatte sie über ihrer Zeichnung gesessen – als Künstler arbeitet man schließlich dann, wenn einen die Muse küsst. Am Morgen hatte sie beschlossen, nach dem Frühstück erst mal ein Sonnenbad zu genießen und später zu dem kleinen Supermarkt zu fahren, wo sie ihren wöchentlichen Einkauf erledigen wollte.
Ihr Weg über die Dünen führte über den Holzsteg zum Strand, wo sie ihr Handtuch auf dem Sand ausbreitete. Es herrschte Ebbe, und die Wellen plätscherten leise ans Ufer. Kenzie mochte die Strände hier am Kap Hatteras besonders, weil sie selten überfüllt waren.
Sie streifte das weite T-Shirt ab, unter dem sie einen knappen einteiligen Badeanzug trug. Sorgfältig cremte sie sich mit Sonnenöl ein, legte sich auf den Rücken und griff nach ihrer Zeitschrift. Schon bald fühlte sie, wie Nacken und Schultern sich entspannten.
Wie lange hatte sie wohl letzte Nacht gearbeitet? Zumindest bis drei, überlegte sie. Gut, dass sie nicht mehr zu Hause wohnte oder sich eine Zimmergenossin gesucht hatte, wie es ihr ihre Mutter geraten hatte. Nun brauchte sie auf niemanden Rücksicht zu nehmen, konnte das Licht brennen lassen und die Musik so laut stellen, wie es ihr gefiel.
Allein zu leben, hatte seine Vorteile. Das wurde ihr deutlich klar, nachdem sie und ihr Verlobter Brent nicht – wie geplant – geheiratet hatten.
Inzwischen genoss sie es, hier am einsamen Kap ihre Cartoons zu zeichnen, weit entfernt von den Menschen, der Presse, dem Personal und all den Verpflichtungen, die eine Heirat mit einem Mann wie dem künftigen Senator Brent Ellis mit sich gebracht hätte.
Brent bewarb sich tatsächlich dieses Jahr um den Sitz im Senat. Das hatte Kenzie von ihrer Mutter erfahren, als sie das letzte Mal miteinander telefonierten. Lächerlich, dachte Kenzie. Ich wäre eine lausige Senatorengattin. Nicht, dass sie sich nicht auf dem politischen Parkett Washingtons zu bewegen wüsste. Sie war ja praktisch auf den Benefizveranstaltungen der Republikaner groß geworden.
Aber ihr lag nichts an dem Lebensstil ihrer Eltern, und schon gar nicht an dem Brents, der gleichberechtigter Partner in der renommierten Anwaltskanzlei ihres Vaters geworden war. Sie war nicht dafür geschaffen, loyal an Brents Seite zu stehen, während er die politische Karriereleiter erklomm … auf dem Weg zur Präsidentschaft vielleicht?
Bei der Vorstellung, einmal First Lady zu sein, musste Kenzie laut auflachen. Gleichzeitig wurde sie schmerzlich daran erinnert, wie sie vor etwas mehr als einem Jahr allein eine Präsidentschaftskampagne zu Fall gebracht hatte.
Ihr Herz verkrampfte sich. Nein. Daran wollte sie jetzt auf keinen Fall denken. Während jener schrecklichen Tage, als sich bereits die ersten Auswirkungen abzeichneten, hatte sie sich fest vorgenommen, nicht über Dinge zu grübeln, die sie nicht ändern konnte. Selbst, wenn sie vorausgesehen hätte, dass sie ihre Familie mit ihrem Tun in dramatische Auseinandersetzungen stürzte, wäre sie standhaft geblieben.
Was ihren Vater betraf …
Genug damit. Keinesfalls wollte sie sich ihren freien Vormittag mit Gedanken an ihren Vater verderben.
„Vorsicht.“
Der Schrei ertönte direkt hinter ihr. Im selben Moment hörte sie über sich ein bedrohliches Knistern. Gleich darauf stürzte ein