: Zora Neale Hurston
: Vor ihren Augen sahen sie Gott
: edition fünf
: 9783942374798
: 1
: CHF 11.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Florida 1928. In einer einzigen Nacht erzählt Janie ihrer besten Freundin Pheoby wie sie aufbrach, ein anderes Leben zu führen, den viel jüngeren Tea Cake traf, endlich das Glück fand, und was geschah, als der große Hurrikan kam ... Von ihrer Reise kehrt Janie als ein neuer Mensch zurück - und mit ihr alle, die ihre Geschichte hören. Der Klassiker aus den USA, zum 120. Geburtstag der Autorin neu übersetzt, gehört zu den schönsten, traurigsten und herzergreifendsten Liebesgeschichten, die je geschrieben wurden.

Zora Neale Hurston (1891-1960) wuchs in Eatonville, Florida, einer rein schwarzen Gemeinde auf. Erst als Erwachsene wurde ihr die soziale Bedeutung ihrer Hautfarbe bewusst. Im New York der 1920er gehörte sie zur Harlem Renaissance und veröffentlichte erste Texte. Als Anthropologin reiste sie viel; 'Vor ihren Augen sahen sie Gott' schrieb sie in nur sieben Wochen auf Haiti. Sie starb in Armut. Heute wird sie in der englischsprachigen Welt gefeiert und verehrt. Hierzulande ist sie (noch) eine Entdeckung.

1 Schiffe in der Ferne haben jedermanns Wunsch an Bord. Für manche treffen sie mit der Flut ein. Für andere fahren sie immer am Horizont dahin, nie außer Sicht, nie ein in den Hafen, bis der Ausschauer resigniert die Augen abwendet, da ihm an der kalten Schulter der Zeit die Träume gestorben sind. So ist das Männerleben.

Frauen hingegen vergessen alles, was sie nicht behalten wollen, und behalten alles, was sie nicht vergessen wollen. Der Traum ist die Wahrheit. Dann gehen sie hin und handeln danach.

Am Anfang hier war nun eine Frau, und heimgekehrt war sie vom Begraben der Toten. Nicht dahingesiecht und entschlafen waren diese Toten, Freunde zu Häupten und zu den Füßen. Sie war heimgekehrt von den aufgedunsenen Wasserleichen, überrumpelt vom Tod, die richtenden Augen weit aufgerissen.

Die Leute sahen sie alle kommen, denn es war Abend. Die Sonne war schon fortgegangen, doch sie hatte ihre Fußspur am Himmel hinterlassen. Es war die Zeit, wo man am Straßenrand auf der Veranda sitzt. Es war die Zeit, wo man zuhört und sich erzählt. Die da saßen waren den lieben langen Tag zungenlose, ohrenlose, augenlose Nutzgegenstände gewesen. Mulis und anderes Viehzeug hatten in ihren Bälgen gesteckt. Jetzt aber war die Sonne fort und der bossman mit, und die Bälge fühlten sich stark und als Menschen. Sie wurden stimmgewaltig wie sonst was. Sie ließen sich Völker im Mund zergehen. Sie hielten Gericht.

Wie sie die Frau so daherkommen sahen, stieß ihnen der ganze Neid wieder auf, den sie von ehedem angesammelt hatten. Und sie kauten es klein, was sie im Hinterkopf hatten, und schluckten es mit Genuss herunter. Aus Fragen wurden brennende Urteile und aus Lachern Mordwerkzeuge. Es war die reine Herdengrausamkeit. Wiedererwachter Groll. Herrenlos ziehende Worte, alle gestimmt auf die gleiche Tonart, wie in einem Lied.

»Was denkt die sich, hier in so Latzhosen anzukommen? Hat die kein Kleid, was sie anziehen kann? – Wo ist das blaue Seidenkleid hin, wo sie hier mit weg ist? – Und wo ist das ganze Geld von ihrem Mann hin, was sie geerbt hat, wie er gestorben ist? – Was denkt die sich, mit vierzig noch die Zotteln so lang wie’n junges Mädchen? – Wo hat sie den jungen Spund gelassen, mit dem sie hier abgezogen ist? – Wollte sie den nicht heiraten? – Wo hat dersie gelassen? – Was hat er mit ihrem ganzen Geld gemacht? – Wetten, der ist mit ’nem blutjungen Ding ab, dem noch nicht mal Haare wachsen. Was bleibt sie auch nicht in ihrer Klasse? –«

Als sie auf ihre Höhe kam, wandte sie sich den versammelten Lästerzungen zu und grüßte. Alle haspelten laut »good evenin’« und ließen die Münder aufgesperrt und die Ohren erwartungsvoll gespitzt. Ihr Gruß war ja so weit ganz freundlich, doch sie ging einfach schnurstracks weiter zu ihrer Gartentür. Die ganze Veranda war sprachlos vor Gaffen.

Die Männer nahmen ihre drallen Pobacken wahr, wie als hätte sie Pampelmusen in den Gesäßtaschen; die prächtige schwarze Mähne, taillenlang, die sich im Wind plusterte wie ein Federbusch; auch ihre streitbar strotzenden Brüste, die ihr Löcher ins Hemd bohren wollten. Sie, die Männer, ergänzten in der Phantasie, was dem Auge entging. Die Frauen hielten sich an das verschossene Hemd und die schmutzigen Latzhosen und legten beides zur Erinnerung ab. Damit hatten sie etwas gegen sie in der Hand, und selbst wenn sie ihr damit letztlich nichts anhaben konnten, nährte es doch die Hoffnung, dass auch sie eines Tages auf das Maß der andern gestutzt wurde.

Aber niemand rührte sich, niemand sagte etwas, niemand schluckte auch nur die Spucke runter, bis die Gartentür hinter ihr zuknallte.

Pearl Stone machte den Mund auf und lachte lauthals, weil ihr nichts anderes einfiel. Vor Lachen hängte sie sich Mrs Sumpkins an den Hals. Mrs Sumpkins schnaubte nachdrücklich und schnalzte mit der Zunge.

»Mmh! Ihr lasst euch alle von der kirre machen. Das kann mir nicht passieren. An die verschwend ich doch gar keinen Gedanken – Ah ain’t got her to study ’bout. Wenn die nicht so viel Manieren hat, dass sie anhält und sagt einem, was sie getrieben hat die ganze Zeit, dann lasst sie doch!«

»Lohnt nicht, wegen der ein Wort zu verlieren«, meinte Lulu Moss naserümpfend. »Sie tut wie hoch oben, aber sieht aus wie ganz unten. Das ist meine Meinung über so alte Weiber, die jungen Burschen nachlaufen.«

Pheoby Watson rutschte mit dem Schaukelstuhl vor, ehe sie was sagte. »Also, das kann doch gar niemand wissen, ob’s da was zu erzählen gibt oder nicht. Ich bin ihre beste Freundin, und nicht malich weiß was.«

»Kann ja sein, dass wir nicht so den Einblick haben wie du, aber wie sie von hier weg ist, das wissen wir alle, und wiederkommen haben wir sie ja nun auch sehen. Da musst du gar nicht erst versuchen, ’nem alten Weib wie Janie Starks ein Mäntelchen umzuhängen, Pheoby, Freundin hin oder her.«

»Erst mal ist sie nicht so alt wie manche von euch, die ihr hier groß daherredet.«

»Soviel ich weiß, ist sie weit über vierzig, Pheoby.«

»Grade mal vierzig, wenn’s hochkommt.«

»Sie ist viel zu alt für ’n Jungen wie Tea Cake.«

»Tea Cake ist schon lange kein Junge mehr. Der muss selber um die dreißig sein.«

»Ist mir egal wieso, sie hätte anhalten und ein paar Worte mit uns reden können. Die tut so, als hätten wir ihr was getan«, beschwerte sich Pearl Stone. »Dabei ist es umgekehrt: She de one been doin’ wrong.«

»Du ärgerst dich doch bloß, dass sie nicht angehalten ist und hat uns gleich ihr Herz ausgeschüttet. Überhaupt, was hat sie denn so Schlimmes verbrochen, wie ihr alle tut? Das Schlimmste, was ich wüsste, ist, dass sie sich ein paar Jährchen jünger gemacht hat, und das hat noch nie jemand wehgetan. Ehrlich, ihr geht mir auf den Geist. Wenn man euch so reden hört, könnte man meinen, die Leute hier im Ort würden nichts als den Herrgott loben, wenn sie ins Bett gehen. So, und jetzt müsst ihr mich entschuldigen, weil ich ihr nämlich was zu essen bringen will.« Pheoby erhob sich brüsk.

»Lass dich von uns nicht aufhalten«, griente Lulu. »Geh nur zu, wir sehen hier so lange nach dem Rechten. Mein Abendessen ist fertig. Geh du mal kucken, wie’s ihr geht. Dann kannst du es uns ja erzählen.«

»Mein Gott«, schloss sich Pearl an, »ich hab mein bisschen Fleisch und Brot ’ne halbe Ewigkeit brutzeln lassen. Ich kann wegbleiben, solange ich will. Mein Mann ist da nicht kleinlich.«

»Öh, sag mal, Pheoby, wenn du so weit bist, kann ich gern mit dir rübergehen«, erbot sich Mrs Sumpkins. »Es wird schon ziemlich gruselduster, da geht bald der Nachtschreck um. De booger man might ketch yuh.«

»Muss nicht sein, danke. Auf den paar Schritten holt mich gar nichts. Sowieso sagt mein Mann immer, was ein richtiger booger ist, der will mich eh nicht haben. Wenn sie euch irgendwas zu sagen hat, werdet ihr’s zu hören kriegen.«

Mit einer abgedeckten Schüssel in den Händen eilte Pheoby davon. Von der Veranda hagelten ihr unausgesprochene Fragen in den Rücken. Hoffentlich waren die Antworten finster und schrecklich, dachten alle. Am Haus angekommen, ging Pheoby Watson nicht vorn den Palmenweg durch den Garten zur Haustür. Sie bog ums Zauneck und trat mit ihrem randvollen Teller mulatto rice durch das private Pförtchen. Janie musste dort hinten sein.

Sie saß wie erwartet auf den Stufen am Hintereingang, wo sie schon die Lampen frisch gefüllt und die Zuggläser alle geputzt hatte.

»Hallo, Janie, wie geht’s, wie steht’s?«

»Och, ganz gut, ich weich mir grade die Füße ein, gegen die Müdigkeit und den Dreck.« Sie lachte kurz auf.

»Ja, das seh ich. Mädel, du siehst richtiggut aus. Du siehst aus wie deine eigene Tochter.« Sie lachten beide. »Du kannst dich sehen lassen als Frau, selbst mit den Latzhosen an.«

»Nun mach aber halblang! Du denkst wohl, ich hätte dir was mitgebracht. Dabei hab ich nichts weiter mitgebracht als grade mal mich selbst.«

»Das ist ’ne ganze Menge. Deine Freunde würden gar nicht mehr wollen.«

»Von dir lass ich mir so Schmeicheleien gefallen, Pheoby, weil ich weiß, dass es von Herzen kommt.« Janie streckte die Hand aus. »Good Lawd, Pheoby! Willst du denn gar nicht mit dem Häppchen rausrücken, das du mir mitgebracht hast? Das Einzige, was mein Bauch heute bekommen hat, war die Hand außen drauf.« Sie lachten beide fröhlich. »Gib her und setz dich.«

»Wusst ich doch, dass du Hunger hast. Im Dunkeln noch Holz für den Herd sammeln ist kein Vergnügen. Mein Mulattenreis ist diesmal nicht so besonders geworden. Nicht genug Schmalz, aber gegen...