Erstes Kapitel
Drei Wochen, sechs Tage und x Stunden, nachdem die Liebe meines Lebens brutal auf meinem Herzen herumgetrampelt ist.
Ich schaue hoch zu der überdimensionierten Uhr an der Bürowand, und sie behauptet, dass es vier Uhr ist. Ich überprüfe das sofort an meinemPC, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verguckt habe.Vier Uhr. Wie kann das sein? Ich habe es ohne Tränen durch sieben Stunden Arbeit geschafft. Okay, fast ohne Tränen. Aber das Schluchzen auf dem Klo zählt rein technisch gesehen nicht, da es während der Mittagspause geschah.
Mir ist klar, wie jämmerlich es klingen muss, dass ich froh bin, einen einzigen Arbeitstag durchzustehen – schließlich gelingt das normalen Menschen tagein, tagaus. Aber ich habe es heute zum ersten Mal ins Büro geschafft, seit Joseph vor einem Monat mit mir Schluss gemacht hat.
Zum Glück arbeite ich als Grafikdesignerin in einer quirligen Werbeagentur, und mein Chef ist fest davon überzeugt, dass es die Kreativität fördert, hin und wieder von zu Hause aus zu arbeiten. Ich kann nicht behaupten, dass es fürmeine während der vergangenen Wochen wirklich hilfreich war, aber ich konnte wenigstens in aller Ruhe Trübsal blasen. Schon so banale Dinge wie mich aus meinem verwaschenen Pyjama zu schälen, zu duschen und die Haare zu waschen, kam Schwerstarbeit gleich. Wie andere es mit gebrochenem Herzen jeden Tag zur Arbeit schaffen, übersteigt meine Vorstellungskraft.
Aber oh Wunder, hier bin ich, in frisch gewaschenen Klamotten und mit sauberen Haaren, und habe es sieben Stunden länger ausgehalten, als ich dachte.
Ich gebe es nur ungern zu, aber meine beste Freundin Sian hatte recht damit, dass mir der Büroalltag guttun würde. Das verrate ich ihr natürlich nicht. Sie würde es mir sonst ständig unter die Nase reiben.
Wie gern würde ich behaupten, ich sei heute aus eigenem Antrieb ins Büro gekommen, weil ich mit dem Gefühl aufwachte, über Joseph hinweg zu sein, der Liebe meines Lebens, die mich völlig unerwartet abserviert hat. Aber in Wahrheit machte mein Chef mir unmissverständlich klar, dass ich hier zu erscheinen habe, nicht nur, weil meine Arbeit – Zitat – »nachlässt«, sondern auch, weil heute in der Agentur Fototag ist. Es ist der Tag des Jahres, vor dem es mir schon unter normalen Umständen graut. Und dieses Mal sind auch noch meine Augen verquollen und rot, weil ich mir wochenlang die Seele aus dem Leib geheult habe.
»Du bist die Nächste!«, ruft Rick, mein Chef, als er an meinem Arbeitsplatz vorbeigeht.
»Großartig«, murmele ich und täusche Begeisterung vor. Ich habe den ganzen Tag Geschrei und Gebrüll aus der Lobby gehört, wodurch meine Befürchtungen nicht gerade kleiner wurden.
Rick hasst typische Unternehmensfotos. Er will nicht nur, dass unsere »Verbrecherfotos« auf der Website topaktuell sind, sondern außerdem aussehen, als sei es ein Heidenspaß, hier zu arbeiten.
Dieses Jahr hat er sich selbst übertroffen. Ich dachte erst, es sei ein verfrühter Aprilscherz, aber wie sich herausstellte, ist es ihm bitterernst. Er hat in der Lobby ein Trampolin aufstellen lassen – eines dieser Dinger, die den Garten von Leuten verschandeln, die Kinder haben. An die Wand dahinter hat er unseren Greenscreen gehängt. Die Idee ist, dass wir alle auf dem Trampolin herumhüpfen und später das Bild von einem strahlend blauen Himmel als Hintergrund eingesetzt wird.
Ich leide unter Höhenangst, und allein bei der Vorstellung, auf einem Trampolin auf und ab zu hüpfen, wird mir schwindelig.
»Komm ruhig schon mit, dann kannst du Giles noch zusehen und anfangen, sobald Seb mit ihm fertig ist.«
Ich nicke und stehe auf, um Rick in die Lobby zu folgen, die wir uns mit sechs anderen Firmen teilen. Nicht genug, dass ich es echt peinlich finde, mich vor meinen Kollegen zum Idioten zu machen, haben sich auch noch jede Menge Zaungäste eingefunden, um das Schauspiel zu bestaunen.
»Ich bin froh, dass du wieder hier bist, Abi. Tut mir leid, dass wir den formellen Weg gehen und dir einen Brief schicken mussten«, sagt Rick. Er wedelt mit der Hand, als sei es keine große Sache, dass ich ein Schreiben erhalten habe, in dem mir mitgeteilt wurde, ich hätte mich am Riemen zu reißen und in der Agentur blicken zu lassen – andernfalls würde man disziplinarische Maßnahmen ergreifen. Das hat mir eine Heidenangst eingejagt. »Du weißt ja, wie es in der Personalabteilung heutzutage läuft – die wollen alles schriftlich.«
»Ist schon okay, ehrlich. War sowieso Zeit, dass ich wieder ins Büro komme.«
Es war der schlimmste Posttag aller Zeiten, denn ich bekam nicht nur den Brief der Personalabteilung, sondern auch noch einen von meinem Vermieter, in dem er mitteilte, dass ich ab nächsten Monat mehr Miete zahlen muss. Das verschaffte mir zumindest einen zusätzlichen Anreiz, wieder ins Büro zu gehen, denn jetzt kann ich mir weniger denn je leisten, meinen Job zu verlieren.
Wir steigen die weiße Treppe hinunter, die an der Wand entlang hinunter zur Lobby verläuft, und mein Puls beginnt zu rasen, als ich meinen Kollegen Giles fröhlich auf dem Trampolin herumhüpfen sehe.
»Die Fotos werden auf der Website supe