: Jörg Riecke
: Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung Riecke, Jörg
: Reclam Verlag
: 9783159608747
: Reclams Studienbuch Germanistik
: 1
: CHF 13.20
:
: Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft
: German
: 290
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wissen über die deutsche Sprache, d. h. die Sprachgeschichte und Sprachentwicklung des Deutschen, ist elementar für das Verständnis der deutschen Literatur. Deshalb ist das Studium der deutschen Sprachgeschichte für jeden Studierenden der Germanistik Pflicht - und das bereits im Einführungsmodul:. Ohne sprachgeschichtliches Wissen zu Mittelhochdeutsch und Althochdeutsch und zum Sprachwandel lassen sich Autoren früherer Zeiten nicht angemessen verstehen. Sprachgeschichte verschafft Einblicke in den historischen Wandel bei der Erfassung und Interpretation der Welt. Lernen lässt sich das alles - so die jahrzehntelange Lehrerfahrung von Jörg Riecke - am besten an einzelnen Textbeispielen aus allen Epochen. Eine weitere Besonderheit des Buches: Riecke verfasst eine erzählende Sprachgeschichte. Einprägsam zeichnet er die gesamte Entwicklung des Deutschen nach: beginnend mit der althochdeutschen Zeit, etwa um 750, über die Kanzleisprache und das Luther-Deutsch, über die Literatursprache der Klassik, die bürgerliche Sprachkultur des 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart.

Jörg Riecke ist Professor für Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Heidelberg, Direktor des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften und Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte.

[11]2. Wie alles anfing:
Die althochdeutsche Zeit (ca. 750–1050)


2.1 Einige notwendige Vorbemerkungen


Die Geschichte der deutschen Sprache beginnt mit dem Einsetzen der ältesten Überlieferung. Sie markiert den Beginn eines langsamen, Jahrhunderte dauernden Prozesses der Ablösung des Lateinischen als erste Schriftsprache in Europa. Dabei werden nach und nach in den verschiedenen Regionen verschiedene Volkssprachen sichtbar, die fast alle gewisse Ähnlichkeiten im Bestand der Laute, Wörter und ihrer Grammatik aufweisen. Die Beschreibung solcher Gemeinsamkeiten, aber auch der Unterschiede, ermöglicht die Einteilung in Sprachgruppen, sogenannte Sprachfamilien, um die Nähe der Verwandtschaft darzustellen.

Das Deutsche zählt in dieser Einteilung zu den germanischen Sprachen, daneben kristallisieren sich in seiner Nachbarschaft Gruppen von romanischen, keltischen, slavischen und baltischen Sprachen heraus. Wie es scheint, sind es in Europa nur die Sprachen Ungarisch, Finnisch und Estnisch, Maltesisch sowie Türkisch, Baskisch und Georgisch, die ganz anders konstruiert und daher mit den übrigen Sprachfamilien nicht verwandt sind. Diese grundsätzlichen Unterschiede lassen sich noch sehr gut an den heutigen Ausprägungen dieser Sprachen beobachten. Geht es aber um die historische Entwicklung der Sprachen, haben wir es erwartungsgemäß mit der Auswertung schriftlicher Texte zu tun; über die gesprochene Sprache wissen wir fast nichts, allenfalls einige Reflexe des mündlichen Sprachgebrauchs lassen sich in vielfältig gebrochener Form aus den Texten herauslesen. Wichtiger als das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist für uns daher die Frage, welche Merkmale ein im Frühmittelalter verfasstes Schriftdenkmal – denn bis in diese Zeit reicht die Überlieferung der meisten heutigen mitteleuropäischen Einzelsprachen zurück – zu einem »deutschsprachigen« Text machen. Zwei Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein:1. das lateinische Alphabet, in dem wir noch heute schreiben, und2. das Vorhandensein bestimmter »neuer« Konsonanten, die so weder im Lateinischen noch in den übrigen altgermanischen Einzelsprachen wie Altenglisch, Altnordisch, Altfriesisch oder Altsächsisch vorhanden waren.

Zur Verdeutlichung begeben wir uns auf die Ebene der Wörter und betrachten einige Beispiele: Wir stehen dabei zwar wieder vor der Schwierigkeit, dass wir einen Wandel in der gesprochenen Sprache anhand des Schriftbildes nur ungefähr ablesen können. Solange wir uns darüber im Klaren sind, dass wir einen Lautwandel und nicht einen nur oberflächlichen »Buchstabenwandel« vor uns haben, lässt sich mit dem Problem jedoch leben. Als eng verwandte Vergleichssprachen,[12]die diese Veränderungen der Konsonanten nicht mitgemacht haben, wählen wir das Altenglische und das benachbarte Altsächsische, die Vorstufe des sog. Niederdeutschen:

ahd.apful ›Apfel‹ gegenüber as.appul, aengl.æppel; vgl. neuengl.apple;

ahd.skif ›Schiff‹ gegenüber as.skip, aengl.scip; vgl. neuengl.ship;

ahd.sitzen ›sitzen‹ gegenüber as.sittian, aengl.sittan; vgl. neuengl.to sit;

ahd.wazzar ›Wasser‹ gegenüber as.watar, aengl.wæter; vgl. neuengl.water;

ahd.daz ›das‹ gegenüber as.that, aengl.þæt; vgl. neuengl.that;

ahd.mahhôn ›machen‹ gegenüber as.makon, aengl.macian; vgl. neuengl.to make.

Die Zusammenstel