Kapitel 1
Bailey Flanigans Beine zitterten und ihre Arme fühlten sich wie weich gekochte Nudeln an. Im Herzen von New York City waren die Hitze und Luftfeuchtigkeit so erdrückend, wie Bailey sie im ganzen Sommer noch nicht erlebt hatte. Falls das Tanzstudio eine Klimaanlage hatte, war sie nicht eingeschaltet. Das Gemisch aus schweißtriefenden Körpern und abgestandener Luft machte es Bailey und den anderen Tänzern fast unmöglich, genügend Sauerstoff zu bekommen.
„Und noch einmal!“, rief Sebastian, der Castingdirektor derWest Side Story. „Fünf, sechs, sieben, acht …“
Die Musik setzte ein und Bailey holte schnell Luft.Beweg dich weiter!, trieb sie sich selbst an.Gib nicht auf! Sie konnte nicht aufhören, obwohl ihr der Castingdirektor alles abverlangte. Das war ihr Traum: ein Vortanzen in einem New Yorker Studio am Broadway. Sie würde alles geben, selbst wenn sie zusammenbräche.
Sie hatte mit Katy Hart Matthews an ihrer Schauspiel- und Bühnenpräsenz gearbeitet; falls sie das Casting bestand, kämen ihr diese Stunden sehr zugute. Aber das Vortanzen brachte sie an ihre Grenzen. Wenn sie gewusst hätte, wie viele Stunden sie tanzen mussten und dass von ihnen erwartet wurde zu singen, ohne eine Spur von Erschöpfung zu zeigen, hätte sie mehr geübt. Sie war nicht sicher, ob es ihrem Ex-freund, Tim Reed, genauso ging wie ihr. Er hatte fast den ganzen Sommer mit einem privaten Tanz- und Sprachlehrer gearbeitet und soweit Bailey sehen konnte, zahlten sich seine Bemühungen aus.
Eines war sicher: Sebastian hatte nicht übertrieben. Er hatte ihnen gesagt, dass Hunderte talentierte Tänzer versuchen würden, eine der wenigen freien Stellen im Ensemble zu ergattern. Bailey erinnerte sich an die Szene vor einigen Stunden. Mindestens tausend Tänzer hatten auf der Straße angestanden, um eine Chance zum Vortanzen zu bekommen. Die einzige, winzige Hoffnung war, dass bei dem Vortanzen nicht nur Talente für dieWest Side Story, sondern auch fürWicked undMary Poppins gesucht wurden. In jeder Show gab es mindestens zwei Stellen, die besetzt werden sollten.
Bailey hatte Blasen an den Füßen und konnte die Arme kaum noch heben, als sie den Tanz noch einmal vorführte. Aber sie achtete nicht darauf. Sie wäre von einer Rolle in jeder dieser Shows begeistert.
„Okay, fünf Minuten Pause!“ Der Castingdirektor winkte mit der Hand. „Danach geht es weiter.“
Bailey trat an die Seite und wischte sich mit einem Handtuch die Stirn