: Henrik Ibsen
: Gesellschaftskritische Dramen: Ein Puppenheim + Gespenster Mit Biografie des Autors
: e-artnow
: 9788026850304
: 1
: CHF 1.80
:
: Dramatik
: German
: 410
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses eBook: 'Gesellschaftskritische Dramen: Ein Puppenheim + Gespenster' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Ein Puppenheim oder Nora: Der Titel beschreibt die Starre und Eingeschlossenheit, aus der die Protagonistin Nora am Ende ausbricht. Sowohl ihr Vater als auch ihr Mann Torvald behandeln sie, den zeitgenössischen gesellschaftlichen Konventionen entsprechend, als einen Besitz, der ihnen zwar kostbar ist, dem sie aber kein Eigenleben zubilligen. Die Protagonistin des Stücks erfährt eine starke Wandlung. Von einer ursprünglich kapriziösen, kindlichen und allzeit vergnügten Person verändert sie sich in eine zunehmend nachdenkliche Frau mit einem Verlangen nach mehr Selbstbestimmung. Gespenster: Ibsen darstellt die Selbstzerstörung einer Familie hier. Er bezeichnete das Stück im Untertitel als 'Familiendrama'. Indem Ibsen der Gesellschaft gleichsam einen Spiegel vorsetzte, kritisierte er überholte Konventionen und stellt die tragischen Folgen dieses Zurückbleibens am Beispiel einer Familie und ihren Mitgliedern dar. Henrik Ibsen (1828-1906) war ein norwegischer Dramatiker und Lyriker, der gegen die Moral und 'Lebenslüge' seiner Zeit zu Felde zog und im 'Kampf der Geschlechter' im Gegensatz zu August Strindberg den Standpunkt der Frau vertrat. Seine bürgerlichen Dramen zeigten ethischen Ernst und großes psychologisches Einfühlungsvermögen.

ZWEITER AKT



(Dasselbe Zimmer. Oben in der Ecke beim Klavier steht der Weihnachtsbaum, geplündert, zerzaust und mit herabgebrannten Lichtern; Noras Hut und Mantel liegen auf dem Sofa.)


(Nora ist allein im Zimmer, sie geht unruhig auf und ab; schließlich bleibt sie am Sofa stehen und nimmt ihren Mantel.)

Nora (läßt den Mantel wieder fallen.)
Da ist wer!(Geht an die Tür, lauscht.) Nein, – niemand. Natürlich – heut am ersten Weihnachtstag kommt niemand, – und morgen auch nicht. – Aber vielleicht –(Öffnet die Tür und sieht hinaus.) Nein, nichts im Briefkasten. Ganz leer.(Geht durchs Zimmer.) Ach Unsinn! Er macht natürlich nicht ernst! So etwaskann doch nicht geschehen. Es ist unmöglich. Ich habe ja drei kleine Kinder.

(Die Kinderfrau kommt mit einer großen Pappschachtel aus dem Zimmer links.)

Kinderfrau.
Endlich habe ich die Schachtel mit dem Maskenanzug gefunden.

Nora.
Schön. Stell' sie auf den Tisch

Kinderfrau (tut es.)
Er ist aber arg in Unordnung.

Nora.
Wenn ich ihn nur in hunderttausend Stücke zerreißen könnte!

Kinderfrau.
Aber nein! Man kann ihn sehr gut wieder herrichten; nur ein bißchen Geduld!

Nora.
Ja, ich will hin und Frau Linde holen, daß sie mir hilft.

Kinderfrau.
Schon wieder aus? In diesem garstigen Wetter? Frau Nora, Sie werden sich erkälten, – krank werden.

Nora.
Das wäre noch nicht das Schlimmste. – Was machen die Kinder?

Kinderfrau.
Die armen Würmerchen spielen mit ihren Weihnachtsgeschenken. Aber –

Nora.
Fragen Sie oft nach mir?

Kinderfrau.
Sie sind ja so daran gewöhnt, immer ihre Mama um sich zu haben.

Nora.
Ja aber, Anne-Marie, in Zukunft kann ich nicht mehr so viel mit ihnen zusammen sein wie bisher.

Kinderfrau.
Na, kleine Kinder gewöhnen sich ja an alles.

Nora.
Glaubst Du? Meinst Du, sie würden ihre Mama vergessen, wenn ich ganz wegginge?

Kinderfrau.
Behüte –, ganz weg!

Nora.
Du, Anne-Marie, sag' mir, – ich habe so oft darüber nachgedacht, – wie hast Du es übers Herz bringen können, Dein Kind zu fremden Leuten zu tun?

Kinderfrau.
Aber das mußte ich ja, wenn ich die Amme der kleinen Nora werden wollte!

Nora.
Ja, daß Du das aberwolltest