: Daniel Plessing
: Ulrich Eggers
: Vom heiligen Gebot, miteinander Tacheles zu reden Geistlich wachsen mit der Jesusregel
: SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
: 9783417228434
: Edition Aufatmen
: 1
: CHF 8,80
:
: Religion/Theologie
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sagt man sich in Kirchen und Gemeinden noch die Meinung, wenn es um so etwas wie Fehlverhalten geht? Oder gilt dann eine Art 'christlicher Nichtangriffspakt'? Warum schweigen wir lieber, als ein klärendes Gespräch zu führen, aus dem eine persönliche Veränderung und geistliches Wachstum hervorgehen könnte? Daniel Plessing greift dazu auf die sogenannte Jesusregel aus dem Matthäusevangelium (Mt 18,15-20) des Neuen Testaments zurück. Hier geht es um das gegenseitige Ermahnen und die wertvolle Frucht, die daraus erwachsen kann. Plessing beschreibt den heilsamen Umgang, durch den Nächstenliebe, Sozialkompetenz und Mut gelernt werden.

Daniel Plessing, geboren 1978, ist verheiratet mit Dorothea und hat fünf Kinder. Nach einem Auslandsjahr und Zivildienst studierte er Theologie in der Schweiz und Deutschland. Seither arbeitet er als Pastor in seiner Heimatgemeinde am Bodensee. Vielen Lesern ist er durch seine Artikel in der Zeitschrift AufAtmen bekannt.

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2 Die Jesusregel – ein Gemeinschaftsthema

Die Jesusregel ist ein Gemeinschaftsding. Jesus lehrt uns, dass wir unsere Glaubensgeschwister brauchen, um auf dem manchmal steilen Glaubensweg durchhalten zu können. Es ist mein Glaubensbruder, der mich im ‚Zweifelsfall‘ auf den richtigen Weg zurückbringt. Mit ihm bin ich wie in einer Seilschaft verbunden. Überdies zeigt Jesus uns mit seiner Regel, dass sich persönliches und geistliches Wachstum nicht einfach auf mystische Art an uns ereignet, sondern unsere gemeindlichen Weggefährten die entscheidenden Impulse dazu geben. Geistliches Wachstum gibt es nur in und durch eine geistliche Gemeinschaft.

Bevor wir aber tiefer in das Thema einsteigen, kommen hier ein paar Momentaufnahmen aus dem Gemeindeleben im deutschsprachigen Europa am Anfang des dritten Jahrtausends. Sie zeigen die ganze Breite des Themas auf:

Bruder D stinkt erbärmlich. Mangelnde Körperhygiene. Wer schon mal das Pech hatte, neben ihm im Gottesdienst zu sitzen, der weiß, wovon ich rede. Wenn man von der Predigt noch etwas mitbekommen will, hat man nur eine Chance: Kopf runter, Hände flach aufeinander, ein Taschentuch zwischen die Handflächen legen und dann da hindurch atmen. Sieht aus wie beten. Ist es aber nicht.

Immer wieder denke ich, dass jemand Bruder D endlich mal in die Körperpflege einführen sollte. Macht offensichtlich keiner. Ich auch nicht. Ich bin zu feige. Stattdessen checke ich vor dem Gottesdienst erst einmal unauffällig ab, wo er sitzt und suche mir dann einen Platz außerhalb seiner Riechweite. Eigentlich sitzt Bruder D die meiste Zeit allein.

Schon länger fällt mir auf, dass Bruder A, einer unserer ehrenamtlichen Gemeindeleiter, sich sehr gut mit unserer neuen Gemeindepraktikantin versteht. Bruder A ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach einer Leitungssitzung bleiben die beiden zurück, um noch was zu besprechen. Ich verlasse das Gemeindehaus mit einem komischen Gefühl. „Die werden schon wissen, was sie tun“, sage ich mir. Nach der nächsten Sitzung bleiben sie wieder allein zurück. „Geh nur, ich bringe sie dann heim“, ruft Bruder A mir zum Abschied zu. Auf der Heimfahrt denke ich mir: „Ich würde nicht wollen, dass meine Frau spätabends allein mit einem Mann im Gemeindehaus sitzt. Aber vielleicht bin ich einfach zu spießig.“

Drei Monate später platzt die Bombe. Bruder A verlässt Frau und Kinder, um mit unserer ehemaligen Praktikantin zusammenzuziehen. Die Gemeinde ist geschockt.

Wenn ich heute zurückblicke, muss ich sagen: Ich habe es gespürt. Ich habe diese feinen Signale intuitiv richtig gedeutet. Aber ich wollte es nicht wahrhaben! Das war mir unangenehm. Ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen, weil ich nicht als Spießer dastehen wollte.

„Bei euch Frommen geht es doch auch zu wie in der Welt. Ihr seid keinen Deut besser.“ Das war der Kommentar des glaubensfernen Nachbarn von Bruder A zu der ganzen Affäre.

Bruder N moderiert unseren vierwöchigen Gästegottesdienst mit viel Elan. Leider macht er fast in jedem Gottesdienst furchtbare Witze über seine Frau. Mal sind es ihre Haare, dann ihre Hobbies oder ihr Fahrstil. Bruder N findet immer was. Er hält diese Witze wohl für eine Art Markenzeichen. Seine Frau ist sein persön