1. KAPITEL
„Das ist die Adresse, nach der Sie gefragt haben. Grosvenor Square W1.“ Verwirrt schaute der Taxifahrer sich zu seinem Fahrgast um. Die Frau saß immer noch auf dem Rücksitz und machte keine Anstalten auszusteigen. „Wollten Sie hierhin, oder soll ich Sie woandershin bringen?“
Gedankenverloren starrte Isobel aus dem Fenster. Einen Moment war sie versucht, den Mann zu bitten, weiterzufahren. Das vierstöckige Stadthaus im georgianischen Stil sah genauso aus, wie sie es in Erinnerung hatte. In den Sprossenfenstern spiegelten sich in der hellen Frühlingssonne die Bäume von der gegenüberliegenden Seite wider. Sie hatte das Haus geliebt, als sie mit Constantin hier gelebt hatte, doch jetzt schien dessen vornehme Eleganz sie zu verspotten.
Es überraschte sie, wie emotional sie darauf reagierte, wieder hier zu sein, nachdem sie vor zwei Jahren gegangen war und ihren Ehemann verlassen hatte. Vielleicht sollte sie die Scheidungspapiere einfach unterschreiben und dann an Constantins Anwalt zurückschicken. Was hatte es denn für einen Sinn, ihn nach all der Zeit wiederzusehen und die Vergangenheit aufleben zu lassen?
Als sie sich vor drei Jahren kennengelernt hatten, war sie fasziniert gewesen von seinem umwerfenden Charme und seiner Sinnlichkeit. Zunächst war ihre Beziehung eine Achterbahnbahn heftiger Leidenschaft gewesen, doch nach der Hochzeit hatte Constantin sich in einen unnahbaren Fremden verwandelt. Im Nachhinein war ihr bewusst geworden, dass sie den geheimnisvollen Italiener, der den exotischen Titel Marchese Constantin De Severino trug, nie wirklich gekannt hatte. Ein Anflug von Wut stieg in ihr auf, als sie daran dachte, welchen Scheidungsgrund Constantin angegeben hatte. Sicher, sie war gegangen, sodass sie ihn wohl rechtlich betrachtet verlassen hatte. Aber er hatte ihr keine andere Wahl gelassen. Denn mit seiner Kälte und seiner kompromisslosen Haltung in Bezug auf ihre Karriere hatte er sie in den Wahnsinn getrieben.
Sie runzelte die Stirn.Böswilliges Verlassen, was für eine lächerliche Bezeichnung, die ironischerweise mehr Gefühl enthielt, als Constantin während ihrer einjährigen Ehe gezeigt hatte.
Wem machte sie etwas vor? Wenn sie an seine harten Gesichtszüge dachte, war es unmöglich zu glauben, dass er eine verletzliche Seite hatte. Von Gefühlen wollte Constantin nichts wissen. Dass er die Scheidung beantragt hatte, war sicher kühle Berechnung. Doch Isobel hatte nicht vor, die ganze Schuld für die gescheiterte Ehe auf sich zu nehmen. Constantin sollte klar werden, dass sie nicht mehr so leicht einzuschüchtern war wie damals, als er sie geheiratet hatte. Und er sollte merken, dass nicht alles nach seinem Willen ging. Früher war sie überwältigt gewesen von ihm. Jetzt war sie entschlossen, ihre Ehe auf Augenhöhe mit ihm zu beenden.
„Ich steige hier aus, danke“, sagte sie zu dem Taxifahrer, kletterte aus dem Wagen und reichte dem Mann den Fahrpreis durch sein heruntergekurbeltes Fenster. Der Wind fuhr durch ihre honigblonden Locken.
Das Gesicht des Taxifahrers zeigte, dass er sie plötzlich erkannt hatte. „Sie sind doch die Sängerin Izzy Blake von denStone Ladies. Meine Tochter ist ein großer Fan von Ihnen.“ Er schob einen Notizblock in Isobels Hand. „Darf ich so unverschämt sein und Sie um ein Autogramm bitten?“
Sie nahm den Stift, den er ihr reichte, und schrieb ihren Namen. Isobel bezweifelte, dass es ihr je angenehm sein würde, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden, wobei sie nie vergaß, dass die Band ihren Erfolg den vielen tausend Fans weltweit zu verdanken hatte.
„Sind Sie in London, um ein Konzert zu geben?“, fragte der Taxifahrer.
„Nein. Wir haben unsere Europatour letzte Woche in Berlin beendet, aber ich denke, dass wir im Herbst in London auftreten werden.“ Sie hatte es aufgegeben, sich den hektischen Terminplan der Band genau zu merken