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Es war nicht das erste Mal, daß sie mit ihren Eltern in ein Ferienhaus fuhr. Zwar hatte sie schon auf der Karte gesehen, daß der Ort im Landesinneren lag, aber trotzdem war sie bis zuletzt davon ausgegangen, daß sie auch diesmal am Wasser wohnen würden. Ein mäßig gefüllter Strand vielleicht, aber immer noch genug Leute; ein Dorf, eine Disko und ein Volleyballnetz: Ohne diese Grundausstattung hatten sie noch nie ihren Urlaub verbracht, und jetzt fuhren sie einen Schotterweg hoch, den sie selbst nach Madame da Silvas ausführlicher Erklärung zweimal verpaßt hatten. Nicht mal Verrückte, dachte sie, kämen auf die Idee, daß von der schmalen Straße Richtung Castelnaud noch ein Weg abgehen könnte.
Obwohl das Anwesen nur etwa fünfhundert Meter über dem Haus von Madame da Silva lag, war es so verborgen am Hang, daß man es von unten nicht hatte sehen können. Ein handtellergroßes Schild zeigte Privatbesitz an, kleine Steine knallten unter den Reifen; das Haus erinnerte Frances an eine Villa aus den englischen Filmen, die ihre Mutter mit Begeisterung sah: An der Sandsteinfassade rankten sich Wein und Rosen hoch, das Dach war mit braunen Schindeln gedeckt, und auf der hüfthohen Mauer, die die Terrasse zum Tal hin begrenzte, standen Krüge voller Geranien.
Viktor parkte den Wagen an der rechten Längsseite, so daß zwischen dem bewaldeten Steilhang und dem Haus gerade noch genug Platz blieb, die Türen zu öffnen. Helen streckte sich und gab diese Laute von sich, die sie immer machte, wenn sie im Wagen gesessen hatte, dabei waren sie nicht mal fünf Minuten gefahren.
»Wollen wir Ritterspiele veranstalten, oder liegt da oben«, David deutete mit dem Kopf in Richtung Wald, »noch ein Clubhotel versteckt, das ihr uns verheimlicht habt, mit Shuttle-Service zum Strand und so.«
Helen lachte, als hätte er einen Witz gemacht; Frances schlug ihre Tür zu und ging langsam um das Haus herum.
»Schwesterherz«, David rannte hinter ihr her, »gibst du mir ein paar von deinen Büchern ab?« Er legte eine Hand auf ihre Schulter, gemeinsam betraten sie die Terrasse.
»Siehst du das, Liebling?« David breitete die Arme aus wie ein Großgrundbesitzer. »Das hier wird uns für all das entschädigen, was wir jetzt eine Woche lang entbehren müssen. Freunde ...«‚ er imitierte die Art von Pause, die man macht, um Tränen zu ersticken, »Kinos. Kneipen. Und jede Form des gesellschaftlichen Lebens.«
Frances ignorierte seinen Auftritt, stieg auf die Mauer und blickte ins Tal. Unterhalb der Burg am Hang gegenüber gruppierten sich die Häuser von Castelnaud wie Ringe einer halbierten Zwiebel. Ein leichter Wind strich ihr durchs Haar, und plötzlich hatte sie Angst, daß sie da runterfallen könnte.
David ging an den geschlossenen Fensterläden vorbei, klopfte wahllos gegen eine weiße Holzblende. »Das ist mein Zimmer!« rief er, aber Frances reagierte nicht. Sie streifte Schuhe und Strümpfe ab und balancierte auf der Mauer, folgte ihr über einen rechten Winkel Richtung Hinterhaus. In regelmäßigen Abständen mußte sie über die Geranien hinwegsteigen; sie machte weite Schritte und blieb erst am Ende der Mauer stehen.
Etwa siebzig Meter vom Haus entfernt, eingebettet in eine terrassenförmig ansteigende Rasenfläche, lag ein Pool, hinter dem ein kleiner Turm aufragte. Vier Plastikliegen standen an der Stirnseite des Beckens, neben einem Sonnenschirm aus weißem Stoff.
Hinter ihr klapperten Fensterläden. Frances hörte ihre Mutter geräuschvoll Luft holen. Eine Angewohnheit, die sie genauso irritierte wie das Seufzen beim Aussteigen.
»Ist das nicht herrlich«, fragte Helen, aber der Satz verlangte keine Antwort. Er gehörte einfach in ihr Programm.
»Nein«, versuchte Frances. »Ich möchte lieber das neben der Küche.«
Ihre Mutter blickte weiter in die Ferne, als hätte sie nichts gesagt. Der Ausdruck in ihrem Gesicht eri