1. KAPITEL
Das Mädchen tauchte wie aus dem Nichts vor Cleo Churchills kleinem Mietwagen auf.
Geistesgegenwärtig trat sie auf die Bremse und hielt den Atem an, als das Gefährt in der schmalen Gasse der Hauptstadt von Jhurat schleuderte und kreischend zum Stehen kam.
Einen Herzschlag lang überkam sie Panik, dann versuchte sie, sich zu fangen. Hatte sie sich den Zwischenfall nur eingebildet? Die grelle Wüstensonne begann, hinter den malerischen historischen Gebäuden zu versinken, sodass die Schatten länger und fahl wurden. Im Gewimmel der Altstadtstraßen hatte Cleo sich verfahren, und nachdem sie sechs Monate durch Europa und Nahost gereist war, kam ihr eine Stadt fast wie die andere vor. Außerdem … warum sollte ein junges Mädchen sich ausgerechnet vor ihr Auto werfen?
Aber da war es, mit angstvoll aufgerissenen Augen und trotz der Schleier überraschend hübsch stand es am Beifahrerfenster – und schien unverletzt zu sein.
Gott sei Dank! war alles, was Cleo denken konnte.
„Bitte!“, flehte das Mädchen sie durchs offene Wagenfester an. „Helfen Sie mir!“
Cleo stand immer noch unter dem Schock des Fast-Unfalls und deutete mit bebender Hand zur Beifahrertür. „Alles in Ordnung?“, fragte sie, als das Mädchen die Tür aufriss und sich ins Wageninnere warf. „Sind sie verletzt? Brauchen Sie …?“
„Fahren Sie!“, schrie das Mädchen, als wären alle Teufel der Hölle hinter ihm her. „Bitte! Ehe …“
Cleo wartete weitere Erklärungen nicht ab. Sie war ihren eigenen Dämonen entkommen und wusste, was zu tun war. Wortlos gab sie Gas und blickte konzentriert auf die schmale Straße, die hoffentlich aus dem wirren Gassenlabyrinth um den Regierungssitz des Sultans von Jhurat herausführte. Das Mädchen neben ihr war atemlos und schien gerannt zu sein.
„Bei mir sind Sie sicher!“, versuchte Cleo, es zu beruhigen. „Alles wird gut.“
Unvermittelt trat ein Mann aus dem Schatten – direkt vor ihren Wagen – und zwang sie anzuhalten. Da sie ihn nicht überfahren konnte, unterdrückte sie eine Verwünschung und sah ihn fest an.
Er war groß und kraftvoll und wirkte gebieterisch, fast einschüchternd. Sein langes lockeres Gewand wies ihn als Einheimischen aus – einen reichen Einheimischen.
Die Sonne stand direkt hinter ihm, sodass Cleo sein Gesicht nicht richtig ausmachen konnte. Dennoch entging ihr nicht, wie drohend er sie ansah. Ein ungutes Gefühl beschlich sie.
Herrisch und hoch aufgerichtet stand er mitten auf der Straße, die Arme vor der Brust verschränkt – und wartete. Er schien nicht die Absicht zu haben, die Straße freizugeben, und sah sie grimmig an.
Cleo erschauerte. Die Situation wurde brenzlig. Sie bekam es mit der Angst zu tun.
Und da war noch etwas, das sie noch nie erlebt hatte.
Dann sagte der Mann zornig etwas auf Arabisch. Das Mädchen neben Cleo zuckte zusammen, als hätte er es geschlagen.
Cleos Magen verkrampfte sich. Jetzt gibt’s Ärger, dachte sie.
„Aussteigen!“, befahl der Mann.
Erst jetzt wurde Cleo bewusst, dass er nicht sie meinte. Er schien zu vermuten, dass sie die Sprache nicht verstand.
„Auf der Stelle!“
„Wer ist das?“, flüsterte sie dem Mädchen zu, ohne den Blick von dem Fremden zu nehmen, dessen herrische Erscheinung sie faszinierte.
Das Mädchen neben ihr gab einen rebellischen Schluchzer von sich. Als Cleo es endlich fertigbrachte, den Blick von dem bedrohlich anmutenden Mann abzuwenden, schürzte das Mädchen trotzig die Lippen, sodass es noch jünger wirkte.
„Das“, erwiderte es verbittert und sah den Mann an, der sich nicht von der Stelle rührte, „ist Seine