1. KAPITEL
„Eine Scheidung kann auch zivilisiert ablaufen“, bemerkte Cristo Ravelli vorsichtig.
Nik Christakis wäre fast in höhnisches Gelächter ausgebrochen, als er diese Worte aus dem Munde seines kaum zwei Monate älteren Halbbruders hörte. Nur sein aufrichtiger Respekt für Cristo hielt ihn von einer schneidenden Antwort zurück. Sein Bruder wusste ja nicht, wie es sich anfühlte, mitten in einem erbitterten Scheidungskrieg zu stecken.
Cristo war frisch und sehr glücklich verheiratet und hatte noch keine negativen Erfahrungen auf diesem Gebiet… oder auf sonst einem. Er war so geradlinig und solide wie ein Lineal. In ihm gab es keine verborgenen Winkel, keine dunklen Geheimnisse. Sein Bruder ahnte nichts von den schrecklichen Dingen, die Nik in seinem Leben bereits hatte erleben müssen. Und auf keinen Fall würde Nik ihn ausgerechnet jetzt damit konfrontieren!
„Du fragst dich vermutlich, warum ich so dreist bin, dir einen Rat zu erteilen“, fügte Cristo diplomatisch hinzu. „Aber du und Betsy hattet mal eine gute Beziehung, und etwas weniger verkrampft und aggressiv an die Sache ranzugehen, wäre bestimmt besser für euch bei…“
„Dann wird es dich bestimmt freuen zu hören, dass Betsy und ich uns morgen mit unseren Anwälten treffen, um die Aufteilung des Vermögens zu regeln“, erklärte Nik, die schmalen dunklen Gesichtszüge grimmig und hart.
„Es geht doch nur um Geld, Nik, und …Dio mio.“ Cristo seufzte tief, als er an das Imperium dachte, das sein Workaholic-Tycoon-Bruder aus dem Nichts aufgebaut hatte. „Davon hast du doch jede Menge.“
Nik biss die makellosen weißen Zähne zusammen. Kaum gezügelte Wut blitzte in seinen hellgrünen Augen auf. „Darum geht es nicht!“, sagte er schroff. „Betsy will mich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Sie will mir die Hälfte meines Vermögens abknöpfen!“
„Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum sie auf einmal so viel fordert“, räumte Cristo ein. „Sie kam mir bisher überhaupt nicht geldgierig vor. Hast du versucht, mit ihr zu reden?“
Nik runzelte gereizt die Stirn. „Warum sollte ich mit ihrreden wollen?“ Sein entgeisterter Tonfall suggerierte, dass ihm schon die bloße Idee völlig vorrückt vorkam. „Sie hat mich rausgeworfen, die Scheidung eingereicht und will mir jetzt Milliarden abknöpfen!“
„Sie hatte ihre Gründe dafür, dich aus dem Haus zu werfen“, rief Cristo seinem Bruder vorsichtig ins Gedächtnis.
Statt einer Antwort presste Nik nur stur die Lippen zusammen. Er hatte seine eigene Erklärung dafür, warum seine Ehe gescheitert war: weil er eine Frau geheiratet hatte, die keine Kinder wollte und die dann ihre Meinung geändert hatte! Klar hatte er ihr etwas sehr Wichtiges verschwiegen, aber er war verständlicherweise davon ausgegangen, dass ihr plötzlicher Meinungswechsel nur eine Laune war und ihr Wunsch hoffentlich genauso schnell wieder verschwinden würde wie er aufgetaucht war.
„Es warmein Haus“, entgegnete er flach.
„Dann willst du ihr Lavender Hall jetzt also genauso wegnehmen wie den Hund?“
„Gizmo gehörte ebenfalls mir.“ Nik warf einen Blick in die Richtung des besagten Hundes, der vor zwei Monaten in seine Obhut zurückgeholt worden war und noch immer den jämmerlichen Anblick einer tiefen Hundedepression bot. Gizmo lag inmitten von nicht angerührtem Gummispielzeug vor einem Fenster, die Schnauze trübsinnig auf die zottigen Pfoten gelegt. Das Tier hatte alles, was man nur für Geld kaufen konnte, doch trotz Niks größter Bemühungen trauerte die dämliche Töle seiner Ex immer noch hinterher.
„Weißt du überhaupt, dass sie völlig am Boden zerstört gewesen ist, als du ihr den Hund weggenommen hast?“, fragte Cristo.
„Die drei Seiten tränenbefleckter Anweisungen ließen darauf schließen, ja“, erwiderte Nik sardonisch. „Sie macht sich mehr Sorgen um den Hund als um mich.“
„Vor noch nicht mal einem Jahr hat sie dich noch angebetet“, widersprach Cristo.
Nik musste zugeben, dass er das sehr genossen hatte. Weniger gefallen hatte ihm allerdings, dass diese Bewunderung sich nun in Hass verwandelt hatte. Und in Fragen, die er nicht beantworten konnte. Okay, das stimmte nicht ganz. Unter Zwang hätte er ihr seine Gründe vielleicht erklären können