1. KAPITEL
„Pst! Sie kommen. Sie dürfen uns nicht finden.“ Schnell hielt Layla ihrer Schwester den Mund zu.
Reglos standen Yasmin und Layla hinter dem schweren Samtvorhang vor den Fenstern der Privatgemächer ihres Vaters. Dass dieser Palasttrakt für die beiden Prinzessinnen tabu war, würde die Sicherheit ihres Verstecks hoffentlich erhöhen. Es war ihnen nie erlaubt gewesen, das Schlafzimmer ihres Vaters zu betreten. Selbst heute nicht – am Tag seines Todes.
Doch Layla hatte den Mann, der für sie nur dem Namen nach ihr Vater gewesen war, noch ein letztes Mal mit eigenen Augen sehen müssen. Würde er tatsächlich kalt und stumm in seinem Bett liegen – oder würde er plötzlich aufspringen und wie gewohnt seine Untertanen tyrannisieren?
Bereits vor Stunden hatten sich die Schwestern ins Schlafzimmer ihres Vaters geschlichen und so seine letzten Worte mitangehört, bevor er sein Leben aushauchte. Kein Wort des Bedauerns war über seine Lippen gekommen, dass er seine Töchter jahrelang vernachlässigt hatte. Kein Wort der Entschuldigung, keine Nachricht, kein letzter Gruß. Stattdessen hatte er kurz vor seinem Tod noch eine weitere Gemeinheit angeordnet, die Laylas Schicksal unwiderruflich besiegeln würde.
„Hassan muss Layla heiraten. Nur dann wird das Volk ihn als Herrscher über Tazkhan akzeptieren.“
Die Schritte kamen immer näher. Layla wagte nicht, die Hand von Yasmins Mund zu ziehen. Hoffentlich mussten sie nicht niesen. Dieser Vorhang roch unangenehm staubig. Angsterfüllt wartete sie auf den Moment der Entdeckung. Dann wäre alles aus.
Mehrere Männer betraten das Schlafgemach.
„Wir haben den gesamten Palast abgesucht. Keine Spur von den Prinzessinnen.“
„Sie werden sich wohl kaum in Luft aufgelöst haben.“ Die harsche Stimme gehörte Hassan, dem sechzigjährigen Vetter ihres Vaters. Es grauste Layla bei der Vorstellung, diesen machtbesessenen Mann heiraten zu müssen.
Ihre Zukunft würde sogar noch finsterer sein, als sie befürchtet hatte! Layla spürte den warmen Atem ihrer Schwester hinter der Hand und hielt die Luft an. Nach allem, was sie gehört hatte, war es jetzt noch wichtiger, dass sie unentdeckt blieben.
„Wir werden sie finden, Hassan.“
„In wenigen Stunden werdet ihr mich mit ‚Eure Exzellenz‘ anreden“, giftete Hassan. „Ihr müsst sie finden. Durchsucht die Bibliothek. Die ältere Schwester ist fast immer dort anzutreffen. Die jüngere redet zu viel. Wir schicken sie nach Amerika und vergessen sie einfach. Das Volk wird sich auch bald nicht mehr an sie erinnern. Noch vor Sonnenuntergang nehme ich die ältere Schwester zur Frau. Sie ist schüchtern, und wird keine Einwände haben.“
Der weiß ja nicht mal, wie ich heiße, dachte Layla. Noch nicht einmal ihr Aussehen schien ihn zu kümmern. Ihre Wünsche interessierten ihn schon gar nicht. Ihrem Vater war auch gleichgültig gewesen, was seine Tochter sich erträumte. Der einzige Mensch, der sich etwas aus ihr machte, stand zitternd neben ihr.
Ihre jüngere Schwester. Ihre Freundin. Ihre Familie.
Nun wollten sie ihr diesen Menschen auch noch nehmen und Yasmin nach Amerika schicken. Layla erstarrte vor Entsetzen. Das würde sie nicht überleben.
„Wozu diese überstürzte Heirat?“
Hassans Begleiter sprach aus, was Layla auch schon durch den Kopf gegangen war.
„Weil wir beide wissen, dass er sich sofort auf den Weg hierher machen wird, sowie er vom Tod des Scheichs erfährt.“
Layla wusste, von wem die Rede war. Hassan musste ihn sehr fürchten, wenn er es nicht einmal jetzt wagte, den Name