1. KAPITEL
Zacharie Deverell eilte durch den Krankenhausflur und steuerte zielstrebig auf die Schwester hinter dem Empfangstresen zu.
„Ich suche Freya Addison. Sie wurde anscheinend gestern hier eingeliefert“, erklärte er leicht ungeduldig. Der fremde Akzent war nicht zu überhören.
Dass die Schwester ihn stumm anstarrte, wunderte Zac nicht. Seit seiner Teenagerzeit schauten die Frauen ihm hinterher. Mittlerweile fünfunddreißig Jahre alt, mit einem atemberaubenden Aussehen und der Aura von Reichtum und Macht gesegnet, geriet er oft ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Wenn ihm danach war, antwortete er auf die neugierigen und bewundernden Blicke mit seinem umwerfenden Lächeln. Aber heute hatte er andere Dinge im Kopf. Schließlich gab es einen ganz bestimmten Grund für seine Anwesenheit. Je eher er Freya traf und ihr die Meinung sagte, desto besser.
„Ähm, Miss Addison.“ Hastig blätterte die Krankenschwester einen Stapel Patientenkarten durch. Ganz offensichtlich schüchterte sie der hochgewachsene, finster dreinblickende Franzose ein, der ein süßes kleines Mädchen auf dem Arm trug. „Oh, ja, da haben wir sie ja. Den Gang hinunter, die dritte Tür auf der linken Seite. Aber Sie können im Augenblick nicht hineingehen. Der Arzt ist gerade bei ihr. Bitte warten Sie noch eine Minute, Mr. …?“
Aber er ging schon den Gang entlang, und die Krankenschwester hetzte um ihren Tresen herum und rannte ihm nach.
„Deverell“, antwortete er kühl, ohne seine Schritte zu verlangsamen. „Mein Name ist Zac Deverell. Und es ist unumgänglich, dass ich Miss Addison sofort spreche.“
Freya saß in ihrem Krankenhausbett und betrachtete ihr verbundenes Handgelenk. Die letzten vierundzwanzig Stunden waren die reinste Hölle gewesen. Insgeheim hoffte sie, jede Minute aus diesem Albtraum zu erwachen. Doch die fürchterlichen Kopfschmerzen erwiesen sich leider als ebenso real wie die Schmerzen in ihrem verstauchten Handgelenk. Kein Wunder, nachdem ihr Wagen mit beträchtlicher Geschwindigkeit gegen den umgestürzten Baum geprallt war, der nach dem Gewitter auf der Straße gelegen hatte.
Das Unglück passierte auf dem Heimweg vom Yachtclub, wo sie als Empfangssekretärin arbeitete. Glücklicherweise hatte sie ihre kleine Tochter Aimee noch nicht aus der Krippe abgeholt. Freya selbst konnte froh sein, dass sie noch lebte. Mit Schaudern dachte sie daran, wie ihr Auto nach dem Totalschaden ausgesehen hatte. Und jetzt fiel sie auch noch bei der Arbeit aus, was ihre Finanzlage nicht gerade verbesserte.
Die letzte Nacht hatte sie wegen der Gehirnerschütterung im Krankenhaus verbracht. Und heute Morgen hatten die Ärzte ihr auch noch mitgeteilt, dass sie sich außer dem verstauchten Handgelenk mehrere Bänderrisse zugezogen hatte. Freya seufzte. Nun musste sie den Arm wochenlang in der Schlinge tragen. Sie bekam starke Schmerzmittel verschrieben und wurde offiziell entlassen. Also durfte sie in ihre kleine Dachgeschosswohnung zurückkehren.
Aber wie soll ich Aimee und den Kinderwagen nur mit einer Hand bis in den vierten Stock bekommen?, überlegte sie besorgt.
Es half nichts, sie musste ihre Großmutter um Hilfe bitten, so schwer ihr das auch fiel. Voller Unbehagen dachte Freya an ihre Kindheit bei Joyce Addison zurück.
Als Freyas Mutter damals weggegangen war, hatte die Großmutter ihre Enkelin bei sich aufgenommen. Zwar kümmerte sich Joyce pflichtschuldig um das kleine Mädchen, doch echte Zuneigung erfuhr Freya nie.
Später wurde aus dem schüchternen Mädchen ein rebellischer Teenager, was das Verhältnis noch weiter abkühlte. Bis Freya eines Tages schwanger wurde und der Kindsvater sie sitzen ließ. Da verkündete Joyce rigoros, dass sie weder Freya noch ihr Kind in irgendeiner Form unterstützen würde. Seitdem war der Kontakt zwischen den beiden Frauen fast vollständig abgebrochen.
Ganz bestimmt ärgerte Joyce sich maßlos, als das Krankenhaus ihr mitteilte, dass sie sich vorübergehend um Aimee kümmern müsste. Freya rechnete fast damit, dass ihre Großmutter bereits abends in der Klinik auftauchte, um das Kind sofort wieder loszuwerden. Aber die alte Dame hatte sich überhaupt nicht gemeldet, und allein das machte Freya zunehmend nervöser. Erwartungsvoll sah sie auf, als es klopfte, und ließ enttäuscht die Schultern sinken, weil nur eine junge Krankenschwester eintrat.
„Haben Sie denn schon etwas von meiner Großmutter gehört? Hat sie vielleicht angerufen?“, fragte Freya. „Sie kümmert sich nämlich um meine Tochter. Allerdings wollte sie irgendwann in den nächsten Tagen nach New York fliegen. Deshalb muss ich noch dringend mit ihr sprechen.“
„Soweit ich weiß, hat Ihre Großmutter sich nicht gemeldet. Aber Ihre Tochter ist schon im Krankenhaus“, erklärte die Krankenschwester fröhlich. „Der Onkel der Kleinen passt auf sie auf. Ich schicke ihn gleich zu Ihnen.“
„Onkel?“ Ratlos starrte Freya die junge Frau an. Aimee hatte keinen Onkel!
„Ja, ich habe Mr. Deverell gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen, solange der Arzt bei Ihnen ist. Er kann es kaum erwarten, Sie zu sehen“, fügte sie trocken hinzu. Dieser Franzose mochte der aufregendste Mann der Welt sein und über einen unglaublichen Sex-Appeal verfügen. Aber der überhebliche Ausdruck in den blauen blitzenden Augen machte deutlich, dass Geduld nicht gerade zu seinen Stärken gehörte.
Die Schwester verschwand, bevor Freya ihr weitere Fragen stellen konnte.
Ich muss unter Halluzinationen leiden. Wahrscheinlich eine Nachwirkung des Unfalls, entschied Freya und fuhr sich mit zittrigen Fingern durchs Haar.
Der Name Deverell weckte schmerzhafte Erinnerungen in ihr. Zwei Jahre hatte sie verzweifelt versucht, ihn zu vergessen. Freyas Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Konnte er wirklich hier sein? Nein, unmöglich! Die Krankenschwester musste sich irren. Aber wer war