1. KAPITEL
Eleanora Frazier wartete am Hafen geduldig auf Pauls Ankunft. Der Himmel über ihr war wolkenlos und tiefblau, und vor ihr lag das glitzernde blaue Meer. Es herrschte ein lebhaftes, geschäftiges Treiben um sie herum, und die Sonne schien warm auf ihre Arme und die ausgestreckten Beine.
Die bewundernden Blicke der Männer interessierten sie nicht. Sie hatte keine Lust zu flirten und wollte auch nicht angesprochen werden. Zu oft hatte sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren immer wieder dieselben Komplimente und Bemerkungen gehört. Ihr war bewusst, dass sie mit ihrem schulterlangen blonden Haar, das sie momentan unter einem riesigen Strohhut verborgen hatte, den großen grauen Augen, die von langen, dichten Wimpern umrahmt wurden, und den schön geschwungenen Lippen die Aufmerksamkeit der Männer erregte. Mit ihrer schlanken Gestalt, den üppigen Rundungen und den geschmeidigen Bewegungen wirkte sie ungemein verführerisch. Ihr Aussehen hatte sie ihren skandinavischen Vorfahren zu verdanken, und sie bildete sich darauf nichts ein.
Manchmal glaubte Eleanora sogar, die Natur hätte ihr keinen großen Gefallen damit getan, sie mit so viel Schönheit auszustatten. Das hatte sie besonders in dem Moment gedacht, als sich herausgestellt hatte, dass Luke Thornton sie nie geliebt hatte. Obwohl sie nur kurze Zeit zusammen gewesen waren, war er ihr nicht treu gewesen. Sie hatte die einseitige Beziehung rasch beendet, nachdem ihr klar geworden war, dass sie sich in ihm getäuscht hatte und nichts mehr für ihn empfand. Deshalb hatte sie eigentlich nicht zu dem Familientreffen, das jedes Jahr in der großen Villa auf Capri stattfand, kommen wollen. Sie hatte es sich jedoch anders überlegt.
Schon als Teenager hatte sie für Luke geschwärmt. Sie hatte ihn verehrt und bewundert und fragte sich jetzt, weshalb sie so blind gewesen war und ihn nicht schon viel früher durchschaut hatte.
Er war der Zweitälteste ihrer drei Stiefbrüder. Paul war mit seinen dreißig Jahren der Jüngste und Jack der Älteste. Er war sechsunddreißig. Als ihre Mutter Tom Thornton, den Vater der drei Brüder, geheiratet hatte, war Eleanora zehn gewesen. Zuerst hatte sie Luke nur verehrt, doch als Teenager hatte sie sich in ihn verliebt. Glücklicherweise war das vorbei, und sie hatte unter der Trennung nicht gelitten. Und das bewies ihr, dass sie ihn nicht wirklich geliebt hatte.
Nur wenige Monate waren sie ein Liebespaar gewesen und hatten es die ganze Zeit vor der Familie verheimlicht. Darauf hatte Luke bestanden, und sie hatte viel zu spät begriffen, warum. Er war hinterhältig und liebte es, andere zu manipulieren und zu täuschen. Alle wären entsetzt darüber gewesen, wenn sie erfahren hätten, was sich zwischen ihm und Eleanora abspielte. Sie hatte nicht vor, mit ihrer Mutter oder ihrem Stiefvater über die kurze Affäre zu reden, denn niemand sollte wissen, wie dumm sie gewesen war.
Eigentlich war es erstaunlich, dass sie so viele Jahre geglaubt hatte, in Luke verliebt zu sein. Obwohl er sie kaum beachtete, hatte sie nicht aufgehört, ihn zu verehren. Auf dem College hatte sie natürlich andere junge Männer kennengelernt. Sie hatte gern geflirtet und auch zwei flüchtige Affären gehabt. Doch sie hatte Luke nie vergessen und fest daran geglaubt, dass sie eines Tages zusammen sein würden. Nach dem Studium konzentrierte sie sich auf ihren Beruf. Sie war
Restauratorin und arbeitetein London. Luke sah sie nur selten, sie hörtejedochnie auf, von ihm zu träumen. Und dann waren sie sichim vergangenen Jahr kurz vor Weihnachten aufeiner Wohltätigkeitsveranstaltung begegnet, und Eleanoras Traumhatte sich endlicherfüllt.
Er hatte seinen ganzen Charme entfaltet, und sie war begeistert gewesen. Luke behauptete, er habe sich schon lange für sie interessiert, habejedoch warten wollen, bissie alt genug sei und nicht mehrzu Hauselebe. Eleanora hatte sich wie im siebten Himmel gefühlt, und sie wurden ein Liebespaar. Erst späterwar ihr klar geworden, dass er das alles sorgfältig geplantund nur aufden richtigen Moment gewartet hatte.
Schon bald warsie ernüchtert, denn erwar auchmit anderen Frauen zusammen. Trotzdem dauerteeszwei Monate, bissie sich eingestand, dass ersie nicht liebte, sondernnur benutzte, wenn er nachdem Ende irgendeiner Affäre biszu dem Anfang einer neuen jemanden brauchte.
Und dann wurde ihr klar, dass sie ihn nicht liebte und auch nie geliebt hatte, und sie beendetedie Affäre. Sie war in ihre Träume verliebt gewesen, aber nicht in Luke.
Alssie Luke erklärte, essei aus zwischen ihnen, lachteer und behauptete, sie würde zu ihm zurückkommen, denn sie gehöreihm. Erwolltenicht einsehen, dass sie weder ihm noch sonst einem Mann gehörte, und wurde zornig. Offenbar konnteer es nicht ertragen, dass eine Frausich von ihm trennte. Eleanora hatteihn mehrverachtet, als sie jemals für möglichgehalten hätte, und war froh gewesen, dass sie nichts mehr mit ihm zu tunhatte.
Alssie von Lukes Verlobung erfahren hatte, warsie überrascht gewesen. Ihrer Meinung nachliebteerseine Freiheit viel zu sehr, um sich zu binden. Dochm