1. KAPITEL
Dante Leonetti, der erfolgreiche Banker mit dem archaisch anmutenden Titel eines Conte di Martino, runzelte verwundert die Stirn, als man ihm seinen nächsten Besucher ankündigte. Mit Marco Savonelli war er schon ewig befreundet. Doch dass der alte Freund seine Landarztpraxis verließ, um aus heiterem Himmel bei ihm in Mailands hektischem Bankenviertel aufzutauchen, verhieß nichts Gutes.
Besorgt fuhr Dante sich durchs volle schwarze Haar. Marcos unverhoffter Besuch musste etwas mit dem Fonds zu tun haben, den die beiden Freunde eingerichtet hatten, um einem Kind aus der Nachbarschaft, das an Leukämie erkrankt war, eine neuartige Behandlungsmethode in den USA zu ermöglichen. Natürlich hatte Dante angeboten, die gesamten Kosten zu übernehmen, doch Marco hatte ihn davon überzeugt, dass es besser wäre, der Dorfgemeinschaft Gelegenheit zu geben, den Betrag von mehreren Tausend Euro durch verschiedene Aktionen selbst aufzubringen. Einige Veranstaltungen hatten bereits stattgefunden und ansehnliche Summen eingebracht. Ein Maskenball auf dem Castello Leonetti, Dantes Familiensitz in der Toskana, sollte den krönenden Abschluss bilden. Viel lieber hätte Dante einen ansehnlichen Geldbetrag gespendet, als sich zu verkleiden. Er hatte keine Zeit für solche Albernheiten.
Das Handy klingelte. Als Banker war Dante es gewohnt, stets ansprechbar und konzentriert zu sein. Doch die Nachricht stammte keineswegs von einem Mitarbeiter, der ihn über eine bevorstehende Krise in Kenntnis setzen wollte, sondern von Delia, seiner bildhübschen Geliebten. Irritiert betrachtete Dante das Foto ihres üppigen Busens, das sie ihm gesendet hatte, und löschte es umgehend. Er wollte keine anstößigen Bilder auf seinem Handy, schließlich war er kein Teenager mehr. Offensichtlich wurde es Zeit, sich mit einem sprichwörtlich goldenen Handschlag von Delia zu verabschieden. Ihre übertriebene Eitelkeit, und erst recht ihre grenzenlose Habgier ging ihm schon lange auf die Nerven. Anererseits fand er es wenig verlockend, sich nach einer neuen Geliebten umsehen zu müssen …
Als Marco Savonelli, ein untersetzter Mann Anfang dreißig, das Büro betrat, nahmen Dantes ungewöhnliche grüne Augen sofort einen warmen Ausdruck an. Im Gegensatz zu dem ernsten, nachdenklichen Dante spazierte der Landarzt stets mit einem fröhlichen Lächeln durchs Leben. Jetzt allerdings wirkte sein ausdrucksvolles Gesicht ernst und besorgt.
„Bitte entschuldige, dass ich hier so hereinplatze.“ Unsicher blickte der Landarzt sich in dem opulenten Ambiente um. „Ich will dich nicht stören …“
„Schon gut, Marco. Setz dich doch! Wir trinken einen Kaffee zusammen.“ Lächelnd schob Dante seinen alten Freund auf eine luxuriöse Sitzecke zu.
Der Kaffee wurde blitzschnell serviert, und Marco entspannte sich etwas.
„Was führt dich zu mir, Marco?“ Dante kam direkt zur Sache. „Es ist ja eher ungewöhnlich, dass du dich mal nicht um deine Patienten kümmerst. Hat jemand Geld aus dem Fonds unterschlagen, den wir gemeinsam eingerichtet haben?“
Das trug ihm einen entsetzten Blick ein. „Um Gottes willen! Nein. Es hat nichts mit dem Fonds zu tun. Meine Mutter hat mich gebeten, mal nach Tante Serafina zu sehen, die in Mailand wohnt. Da dachte ich, ich schaue mal kurz bei dir vorbei, da ich gerade in der Nähe bin.“
Als guter Menschenkenner spürte Dante instinktiv, dass dies nur die halbe Wahrheit war. „Ach, tatsächlich?“, hakte er vorsichtig nach.
„Ja, tatsächlich. Ich dachte, wir könnten … ein wenig plaudern“, fügte sein alter Freund hastig hinzu.
„Klar, kein Problem“, versicherte Dante.
„Hast du in der letzten Zeit mal was von deiner Mutter gehört?“, fragte Marco nun.
Dante erstarrte. Das Gespräch nahm eine unerwartete Wendung. „Wir telefonieren fast jeden Tag miteinander“, antwortete er vorsichtig und schlug die schwarz bewimperten Lider nieder, um seine plötzliche Besorgnis zu verbergen.
„Aha, das ist gut … äh, ausgezeic