1. KAPITEL
Das Apartment lag in einer der etwas teureren Gegenden. In keinem Hochhausviertel, obwohl dort viele luxuriöse Wohnungen angeboten wurden. Nein, Isobel hatte sich lieber für ein Apartment im oberen Stockwerk eines umgebauten viktorianischen Stadthauses entschieden, dessen Mangel an modernen Annehmlichkeiten durch den vornehmen Stil mehr als wettgemacht wurde.
Es überraschte Jake nicht, dass sie das betagtere Gebäude bevorzugt hatte. Isobel entstammte altem Geldadel und würde, wie immer ihre Verhältnisse auch sein mochten, eher in Räumen frieren, für die niemals eine Zentralheizung vorgesehen war, als umgeben von Komfort in anonymer Einförmigkeit zu leben.
Nicht dass die Wohnung billig gewesen wäre. Jake kannte ihren Preis. Wie sollte es auch anders sein, dachte er ironisch. Bei ihrer Trennung hatte er sie für Isobel gekauft.
Jake musste seinen Wagen in der Nebenstraße parken und die kurze Strecke zum Eaton Crescent zu Fuß gehen. Es regnete, typisches Maiwetter, und er blickte missmutig drein, als seine Lederjacke im Platzregen an den Schultern pitschnass wurde. Schon wieder muss eine Jacke dran glauben, dachte er resigniert und fragte sich, seit wann er Kleidungsstücke wie lästige Strafzettel wegwarf. Er hätte einen Schirm benutzen sollen.
Auf einer Tafel neben der Tür standen die Namen der einzelnen Hausbewohner neben den jeweiligen Klingeln. Angeblich aus Sicherheitsgründen, aber Jake wusste, dass hartnäckige Besucher einfach sämtliche Klingelknöpfe drückten, bis irgendeiner dumm genug war, sie hereinzulassen. Eine Gegensprechanlage gab es nicht. Zwar hatte er beim Kauf der Wohnung Isobel gegenüber seine Bedenken geäußert, aber seine Besorgnis hatte sie gleichgültig gelassen.
Jake schob diese unerfreuliche Erinnerung beiseite, drückte auf Isobels Klingelknopf und wartete auf den Türsummer. Isobel wusste, dass er kam, also konnte sie schlecht so tun, als wäre sie nicht da.
Er musste nicht lange warten. Schon ertönte der Summton, und Jake stieß die Tür zum Flur auf.
Drinnen war es düster, roch aber angenehm nach Lavendel und Möbelpolitur. Ein Reinigungsdienst hielt die Korridore und das Treppenhaus in ausgezeichnetem Zustand, und man war augenblicklich vom edlen Ambiente beeindruckt.
Die Tür schloss sich automatisch hinter ihm, und nachdem er sich flüchtig übers nasse Haar gefahren war, stieg Jake die mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf, wobei er jeweils zwei Stufen auf einmal nahm. Sein Atem ging etwas schwer, als er die zweite Etage erreichte, und ihm fiel ein, dass er schon länger keinen Sport mehr getrieben hatte. Vor dem Computer zu sitzen war ja so viel bequemer, als Gewichte zu stemmen, wenn auch längst nicht so gesund.
Isobels Tür war zu. Er widerstand dem Impuls, die Klinke nach unten zu drücken, hob die Hand und klopfte. Dann wartete er ein wenig ungeduldig, dass Isobel ihm öffnete.
Aber nicht Isobel machte die Tür auf, sondern Emily. Da stand sie nun und starrte ihn so wütend und voller Groll an, wie er es von ihrer Mutter erwartet hätte.
„Was willst du?“
Ihre Frage überraschte ihn. Er war davon ausgegangen, dass Isobel seinen Besuch mit ihr besprochen hatte. Offensichtlich hatte sie das nicht getan, und nun blieb es ihm überlassen, einer frühreifen Zehnjährigen klar zu machen, dass ihre Mutter ihn erwartete.
„Sie ist nicht da“, verkündete Emily sichtlich zufrieden. „Du wirst also ein andermal wiederkommen müssen.“
Jake blinzelte. „Das meinst du nicht ernst.“ Er d