1. KAPITEL
Sylvie Bennett schloss die Tür des Apartments 4A hinter sich und eilte die Treppe hinunter ins Foyer von Amber Court 20. Durch die Fensterscheibe der schweren Haustür konnte sie sehen, dass es heute Morgen heftig schneite.
Na, prima, dachte sie gereizt. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Normalerweise zog sie es vor, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, statt den Bus zu nehmen. Aber heute Morgen wollte sie einen besonders energischen und geschäftstüchtigen Eindruck machen, und windzerzaustes Haar passte da nicht ins Bild.
Ihre sonst immer so gute Laune sank noch mehr, als sie daran dachte, was sie heute tun wollte. Es war nicht auszuschließen, dass sie sich heute Abend ohne Job wiederfinden würde.
„Hallo, Sylvie! Guten Morgen!“
Ihre düstere Stimmung hob sich sofort, als Sylvie ihre Vermieterin Rose Carson sah. Ein hübscher Morgenmantel aus Flanell umhüllte ihre rundliche Figur, und ihr grau meliertes Haar war leicht strubbelig, als ob sie noch nicht dazu gekommen sei, es zu kämmen. Sie sah herzlich und freundlich aus – zum Knuddeln, dachte Sylvie. Wenn sie sich in ihren Tagträumen vorstellte, wie ihre Mutter ausgesehen haben könnte, was sie sich schon lange nicht mehr erlaubte zu tun, dann hatte sie Rose vor Augen.
„Hi. Wie geht es Ihnen heute Morgen?“ Sie durchquerte das Foyer, wo Rose mit der Zeitung in der Hand stand.
„Es geht mir großartig“, antwortete Rose fröhlich. „Ich habe das Gefühl, dass heute etwas Wunderbares geschehen wird.“
Sylvie lächelte trocken. „Das wäre schön.“ Sie legte ihren Mantel über das Treppengeländer und wickelte sich ihren Wollschal um den Hals.
„Das ist ja ein wirklich hübsches Kostüm, meine Liebe.“ Rose fuhr sanft mit der Hand über den glatten Stoff. „Aber, wenn Sie mir meine Einmischung verzeihen wollen, ich glaube, es fehlt das gewisse Etwas an Schmuck, um es richtig zur Geltung zu bringen.“
„Wahrscheinlich“, stimmte Sylvie zu. „Aber woher nehmen und nicht stehlen?“
Rose zwinkerte ihr amüsiert zu. „Schämen Sie sich, junge Dame! Sie arbeiten in dem angesehensten Schmuckgeschäft des Landes und besitzen selbst keinen Schmuck?“ Sie hob die Hand, um Sylvie zu bedeuten, ein wenig zu warten. „Ich habe genau das Richtige für Sie.“
„Rose, Sie brauchen doch nicht …“ Aber ihre Vermieterin eilte schon in ihre Wohnung zurück, bevor Sylvie den Satz beenden konnte.
Nach nur wenigen Minuten war sie wieder da und reichte ihr eine wunderschöne, fast herzförmige Brosche. Ein Bernstein glitzerte inmitten von verschiedenen anderen Steinen.
„Oh, die ist wirklich ganz besonders schön. Wo haben Sie sie her? Wer hat sie gemacht?“
„Ein Designer, den ich vor langer Zeit kannte.“ Rose winkte ab, als Sylvie ihr die Brosche zurückgeben wollte, und steckte sie ihr entschlossen an den Aufschlag ihrer Kostümjacke. „Das ist genau das, was Sie heute brauchen.“
„Aber es ist ein viel zu wertvolles Stück. Ich kann doch unmöglich …“
„Und es sammelt nur Staub an in meiner Schmuckschatulle“, warf Rose ein. „So. Sehen Sie nur, wie gut sie an Ihnen aussieht.“ Sie drehte Sylvie zum Spiegel herum.
„Sie ist wirklich fantastisch.“ Sylvie fuhr sanft mit dem Finger über die Brosche. Heute brauchte sie all ihr Selbstvertrauen, das sie aufbringen konnte. Vielleicht würde sie sich tatsächlich dieses eine Mal das wunderschöne Schmuckstück ausleihen. „Na, gut.“ Lächelnd wandte sie sich um und gab Rose einen Kuss auf die Wange. „Sie haben gewonnen. Ich werde sie tragen.“
„Wunderbar!“ Rose klatschte in die Hände. „Machen Sie sich besser auf den Weg, meine Liebe. Ich weiß, dass Sie gern früh im Büro sind, und nach dem Wetter zu urteilen, wird es heute ein wenig glatt sein auf der Straße.“
Sylvie nickte, drapierte den Schal so, dass er auch Mund und Ohren bedeckte, schlüpfte in ihren dicken Wintermantel und zog die Kapuze hoch. „Wünschen Sie mir Glück. Ich habe heute eine wichtige Sitzung.“ Und das war nicht gelogen. Dass man sie zu der Sitzung nicht eingel