1. KAPITEL
SÜSSER DIEBSTAHL IN VENEDIG?
Von Jane O.
„Nie wieder heimlich naschen!“ Das verspricht zumindest die neueste Kreation aus dem Hause Di Lorenzo. Das Süßwarenunternehmen aus Venedig hat das Unmögliche möglich gemacht und eine Praline kreiert, die das Abnehmen fördert. Ein längst überfälliges Produkt, doch stammt es wirklich von Di Lorenzo? Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, arbeitete der venezianische Konditormeister Angelo Mancini ebenfalls an einer Diätpraline mit sehr ähnlicher Zusammensetzung. Reiner Zufall, könnte man denken, wenn nicht vor Kurzem das streng gehütete Rezept aus der kleinen Konditorei gestohlen worden wäre. Hat Di Lorenzo etwa heimlich bei der Konkurrenz genascht? …
Das genügte! Wütend knüllte Mio di Lorenzo die Zeitung zusammen und warf sie in einen der zahlreichen Abfallbehälter auf dem Londoner Flughafen Heathrow. Was bildete sich diese Klatschreporterin eigentlich ein? Mit ihren haltlosen Unterstellungen konnte sie sein Unternehmen ruinieren. Aber das würde er nicht zulassen. Niemals!
Er hatte sich seinen guten Ruf als Leiter der Produktentwicklung nicht so hart erarbeitet, um ihn sich von irgendeiner drittklassigen Journalistin zerstören zu lassen.
Wie hatte diese Jane O., die offensichtlich zu feige war, ihren vollständigen Namen anzugeben, überhaupt von dem gestohlenen Rezept erfahren? Mio hatte extra dafür gesorgt, dass die italienische Presse nicht über den Diebstahl berichtete, und nun kam ihm eine unbedeutende Reporterin aus London in die Quere.
Der Artikel basierte zwar nur auf Gerüchten, aber Mios Kunden war es völlig gleichgültig, ob diese stimmten oder nicht. Wenn der Zweifel erst einmal gesät war, konnte er die Praline direkt wieder vom Markt nehmen. Das würde die Firma mindestens eine Million kosten.
Und genau deshalb würde er dieser Journalistin jetzt zeigen, mit wem sie sich da angelegt hatte. Er wählte die Nummer des Londoner Magazins, in dem der Artikel erschienen war. Dort teilte ihm eine freundliche Sekretärin mit, dass sich Miss O. derzeit auf Geschäftsreise befände. Natürlich, sie ließ sich verleugnen. Damit hatte er gerechnet.
Aber so einfach würde er sich nicht abwimmeln lassen. Wenn Jane O. nicht mit ihm reden wollte, musste er sich eben direkt an ihren Chefredakteur wenden. Doch die Sekretärin schien schon darauf gewartet zu haben. Freundlich erklärte sie ihm, dass der Chefredakteur in einer Besprechung wäre.
So langsam reichte es Mio. Er war schließlich nicht irgendjemand. Seiner Familie gehörte eines der größten Unternehmen Italiens und dieses Londoner Käseblatt würde nicht auf Kosten von Di Lorenzo seine Auflage erhöhen. Genau das sagte er der Sekretärin auch, während er wütend mit dem Handy am Ohr durch den Flughafen hastete.
Irgendwann ertappte er sich dabei, dass er ins Telefon brüllte, doch das kümmerte ihn nicht. Mio verlor nicht oft die Kontrolle, aber wenn es um seine Familie ging, verstand er keinen Spaß. Dann schaltete sich sein normalerweise exzellent funktionierender Verstand aus, und seine Emotionen gewannen die unkontrollierte Oberhand.
Deshalb achtete er auch nicht auf den Weg, als er – immer noch schimpfend – in einen schmaleren Gang zwischen den Duty-free-Shops einbog.
Die junge Frau stand so abrupt vor ihm oder, besser gesagt, sie lief so plötzlich in ihn hinein, dass er nicht mehr bremsen konnte. Sein Ellenbogen wurde nach oben gedrückt, und das Handy rutschte ihm aus der Hand. Es fiel zu Boden, und das Display wurde dunkel.
Entsetzt kniete sich Mio hin und drückte auf dieOn – Taste. Doch der Bildschirm blieb schwarz. Mio probierte es noch einmal, länger, aber es half nichts. Das Gespräch mit der Sekretärin war definitiv beendet, und sein Telefon war ganz offensichtlich tot. Er stieß eine Reihe von italienischen Flüchen aus.
„Danke der Nachfrage. Mir geht es gut.“
Mio fuhr herum und blickte geradewegs in ein Paar smaragdgrüner Augen, die ihn böse anfunkelten. Sein Herz machte einen Satz. Trotz oder vielleicht genau wegen der Tatsache, dass der Blick der Unbekannten ihn geradezu durchbohrte, fühlte er sich auf einmal seltsam befangen. Dieses strahlende Grün schien ihn zu hypnotisieren und seine Sinne zu benebeln. Am liebsten wäre er darin versunken, aber seine