1. KAPITEL
Mit eisiger Stimme forderte Luc MacAllister den Notar auf: „Vielleicht können Sie mir erklären, warum mein Stiefvater diese Klausel in das Testament aufgenommen hat.“
Bruce Keller ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken. Er hatte Tom Henderson vor den Folgen gewarnt, aber sein langjähriger Freund hatte sich nicht umstimmen lassen, sondern mit zufriedener Miene geantwortet: „Luc muss endlich begreifen, dass man sich mit Situationen auseinandersetzen muss, die man nicht beeinflussen kann.“
Während er Toms Stiefsohn in die grauen Augen sah, deren Blick so hart wie Stahl wirkte, schien der Verkehrslärm auf der Hauptstraße der neuseeländischen Kleinstadt wie aus weiter Ferne durch das geöffnete Fenster hereinzudringen.
„Über seine Beweggründe hat Tom nicht mit mir geredet“, erwiderte er schließlich.
„Mit anderen Worten, Sie wissen nicht, warumHenderson Holdings und die Stiftung erst dann endgültig in meinen Besitz übergehen, wenn ich sechs Monate mit seiner … mit Joanna Forman verbracht habe“, stellte Luc fest.
„Richtig.“
„Joanna Forman, die sich in den letzten zwei Jahren um mich gekümmert hat“, zitierte Luc den Passus im Testament und verzog das Gesicht. „Normalerweise hat sich Tom nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Er hätte sie auch als seine Geliebte bezeichnen können.“
Der Notar empfand Mitleid mit der Frau, obwohl er sie nicht persönlich kannte. „Ich weiß nur, dass sie ihrer kranken Tante monatelang geholfen hat, die bis zu ihrem Tod die Haushälterin Ihres Stiefvaters auf Rotumea Island war“, berichtete der Notar wahrheitsgemäß.
„Und dann ist sie einfach dortgeblieben.“
Schweigend ging Bruce Keller über Lucs verächtliche Bemerkung hinweg. Egal, welche Rolle Joanna Forman in Tom Hendersons Leben gespielt hatte, sie war für ihn offenbar so wichtig gewesen, dass er sie ohne Rücksicht auf die zornige Reaktion seines Stiefsohns finanziell abgesichert hatte.
Luc MacAllister zuckte mit den Schultern, eine Geste, die den älteren Mann an Lucs Mutter erinnerte, eine elegante aristokratische Französin. Zwar war er ihr nur ein einziges Mal begegnet, dennoch hatte er ihr perfektes Benehmen und ihre kühle und distanzierte Höflichkeit nie vergessen. Gegensätzlicher hätten sie und ihr Mann nicht sein können. Tom war ein zupackender Neuseeländer und ein guter Geschäftsmann gewesen. Er hatte ein Bauunternehmen gegründet, das er zu einem internationalen Konzern ausweitete.
Luc MacAllister hatte jedoch keinen Grund, sich über seinen Stiefvater zu ärgern oder ihm irgendetwas vorzuwerfen, denn er war selbst kein unbeschriebenes Blatt, was Affären betraf.
Bei dem Gedanken, dass eine Beziehung zwischen einem Sechzigjährigen und einer beinah vierzig Jahre jüngeren Frau zumindest etwas außergewöhnlich war, musste Bruce unwillkürlich lächeln, hatte sich aber sogleich wieder unter Kontrolle.
„Ich finde die Situation gar nicht lächerlich oder lustig“, fuhr Luc ihn prompt an.
„Mir ist klar, dass es für Sie ein Schock ist. Ich habe Ihren Stiefvater entsprechend gewarnt“, erklärte Bruce trocken.
„Wann genau hat er das Testament aufgesetzt?“
„Vor einem Jahr.“
„Also drei Jahre nach seinem ischämischen Schlaganfall und ein Jahr nachdem Joanna Forman bei ihm eingezogen ist“, stellte Luc fest.
„Ja. Ehe er es unterzeichnete, hat er sich einer gründlichen Untersuchung unterzogen und sich bestätigen lassen, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist.“
„Dazu haben Sie ihm vermutlich geraten.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Luc fort: „Ich werde das Testament nicht anfechten, auch diese absurde Klausel nicht.“
Der Notar nickte. „Das halte ich für vernünftig.“
Als Luc aufstand und sich vor ihn an den Schreibtisch stellte, fühlte der ältere Mann sich von dessen autoritärer Ausstrahlung beinah erdrückt.
„Ich gehe davon aus, dass Joanna Forman die Bedingung erfüllen wird.“
„Alles andere wäre dumm“, antwortete Bruce. „Es ist für Sie beide von Vorteil, dass Sie sich daran halten, egal, wie schwer es Ihnen fällt.“
Die junge Frau konnte sogar verhindern, dass das riesige Firmenimperium se