1. KAPITEL
„Und was hättest du gern zu Weihnachten, Jessie? Ich gehe morgen Geschenke kaufen. Bis Heiligabend sind es nur noch reichlich zwei Wochen, und ich hasse es, Dinge bis zum letzten Moment aufzuschieben.“
Jessie hörte auf, sich die Wimpern zu tuschen, und lächelte ihrer älteren Freundin und Vermieterin über den Küchentisch hinweg ironisch zu. „Kennst du ein Geschäft, in dem Männer verkauft werden?“
„Männer?“ Dora sah sie erstaunt an. „Vor zehn Minuten hast du noch gesagt, die meisten Männer seien Mistkerle und du seist ohne einen besser dran.“
Jessie zuckte die Schultern. „Das war vor zehn Minuten. Mich so aufzustylen hat mich an die Zeiten erinnert, als ich jung war und die Wahrheit über das andere Geschlecht nicht kannte. Ich würde alles darum geben, nur einen Abend lang wieder dieses sorglose Mädchen zu sein und mit einem tollen Typ ein heißes Date zu haben.“
„Und wenn sich die Wunschvorstellung erfüllen würde, wohin würde er dich ausführen?“, fragte Dora, die weiter skeptisch dreinblickte.
„In ein wirklich schickes Restaurant und hinterher zum Tanzen in einen Nachtklub.“Später nimmt er mich dann mit in sein Apartment und … Dieser Gedanke überraschte Jessie. Ganz ehrlich, sie hatte Männer nicht im Geringsten vermisst, seit sie Emily bekommen hatte. Sie hatte überhaupt keine Lust gehabt, mit einem zusammen zu sein. Jetzt plötzlich war die Vorstellung ziemlich angenehm, in den Armen eines fantastischen Mannes zu liegen. Mehr als angenehm.
Anscheinend waren ihre weiblichen Hormone wieder in Schwung gekommen.
Jessie seufzte verärgert. Darauf konnte sie gut verzichten. Männer komplizierten nur alles. Das taten sie immer. Sie waren zu nichts zu gebrauchen. Außer auf diesem einen Gebiet!
Sie musste zugeben, dass nichts über das Vergnügen ging, mit einem Mann zusammen zu sein, der ein guter Liebhaber war.
Emilys Vater war ziemlich gut im Bett gewesen. Aber er war auch ein unzuverlässiger, leichtsinniger Dummkopf gewesen, und seine Abenteuerlust hatte ihn schließlich ins Grab gebracht. Noch bevor Jessie festgestellt hatte, dass sie ein Kind von ihm bekam, war er beim Snowboardfahren in eine Gletscherspalte gestürzt.
Im hohen Alter von achtundzwanzig Jahren hatte Jessie endlich begriffen, dass Männer, die gut im Bett waren, nur selten für eine feste Bindung taugten. Meistens waren sie charmante Schufte. Auch wenn Lyall am Leben geblieben wäre, hätte er vermutlich nicht zu ihr und seinem Kind gehalten.
Nein, sie war besser dran ohne einen Mann in ihrem Leben. Zunächst einmal, jedenfalls. Emily war gerade erst vier und sehr für Eindrücke empfänglich. Dass ihre Mutter mit Kerlen ausging, die nur eines wollten, war das Letzte, was sie brauchte. Es hatte keine Zukunft. Und brachte kein Glück.
Männer konnten Sex auch ohne Bindung genießen. Sie erlitten dabei keinen seelischen Schaden. Für Frauen war das nicht ganz so einfach.
Jessie hatte lange gebraucht, um über Lyall hinwegzukommen. Sie hatte nicht nur seinen Tod verwinden müssen, sondern auch das, was sie erst danach herausgefunden hatte: Sie war nicht die einzige Frau in seinem Leben gewesen.
„Mehr als alles andere wünsche ich mir zu Weihnachten einen anständigen Job in einer Werbeagentur“, sagte sie, während sie die wichtigsten Schminksachen in ihre schwarze Abendtasche steckte.
Bevor sie schwanger geworden war, hatte sie als Grafikerin gearbeitet und immer im Auge gehabt, irgendwann zum Artdirector befördert zu werden. Sie hatte nicht ihr ganzes Berufsleben lang die Ideen anderer Leute umsetzen und ihnen die Anerkennung überlassen wollen, wenn sie ihre Entwürfe verbessert hatte. Jessie wusste, dass sie sehr kreativ war, und sie träumte davon, eines Tages ihr eigenes Team zu leiten, als Führungskraft bei den Präsentationen dabei zu sein. Dann würde sie das Lob bekommen – und entsprechende Tantiemen –, wenn sie einen prestigeträchtigen Auftrag für Jackson& Phelps gesichert hatte. Das war die Werbeagentur, für die sie damals arbeitete, eine von Sydneys größten und besten.
Emilys Geburt setzte jedoch neue Prioritäten in Jessies Leben. Sie plante, nach dem Mutterschaftsurlaub zurück zu Jackson& Phelps zu gehen. Aber als es so weit war, stellte sie fest, dass sie ihre kleine Tochter nicht in eine Tagesstätte geben wollte. Sie wollte zu Hause bleiben und sich selbst um Emily kümmern.
Jessie glaubte, sie könnte freiberuflich zu Hause arbeiten. Sie hatte einen Computer und sämtliche erforderliche Software. Ein Konjunkturrückgang hatte jedoch zur Folge, dass die Werbeetats gekürzt und viele Grafiker arbeitslos wurden. Freiberufliche Tätigkeit