1. KAPITEL
„Was in aller …?“
Jenna Byrd war mit ihrem Truck zur Flying B Ranch unterwegs, als sie einen fremden Mann bemerkte, der den Weg zur Ranch entlangstolperte. Er trug staubige Jeans, ein weißes T-Shirt und abgestoßene Stiefel. Ganz typisch für einen Mann in einer Kleinstadt in Texas. Aber er hatte keinen Hut auf, und sein kurzes, dunkles Haar war zerzaust.
Jenna runzelte die Stirn. Mit Sicherheit war der Mann betrunken. Und das mittags. Cowboys konnten es manchmal echt übertreiben. Nur gut, dass sie sich nicht mit solchen Typen einließ. Oh nein, jetzt kam er auch noch auf ihren Pick-up zu.
Lieber Himmel. Bis zur Ranch waren es fünf Meilen. In seinem Zustand würde er diesen Weg nie bewältigen. Außerdem hatte sie keine Ahnung, warum er überhaupt nach Flying B wollte.
Seufzend hielt sie an. Sie wusste, dass er nicht auf der Ranch arbeitete. Jenna war es wichtig, alle Angestellten zu kennen. Schließlich war sie Miteigentümerin. Ihre Schwester, ihre Cousine und sie hatten Flying B zu gleichen Anteilen geerbt. Jetzt waren sie dabei, die Ranch in ein Bed and Breakfast umzuwandeln.
Sie ließ das Fenster herunter. „Was machen Sie denn hier draußen?“
Mit glasigen, dunkelbraunen Augen starrte er sie an. Er antwortete nicht.
Sie wiederholte die Frage.
Er blinzelte. Vermutlich war er in ihrem Alter, so um die dreißig. Mit seinem dunklen Teint und den markanten Gesichtszügen sah er sogar in volltrunkenem Zustand unglaublich gut aus.
Vielleicht war er ein Alkoholiker und per Anhalter unterwegs. Oder er arbeitete auf einer anderen Ranch in der Gegend und hatte im Rausch die falsche Abzweigung erwischt. Es musste schließlich eine Erklärung für sein ramponiertes Erscheinungsbild geben.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, fragte Jenna: „Wer sind Sie?“
„Wer sind Sie?“, erwiderte er.
Das führte doch zu nichts. „Sie haben zu viel getrunken.“
Er kniff die Augen zusammen. „Ich habe zu viel getrunken?“
„Ja.“
„Das glaube ich nicht.“
Aber sicher doch. Er war sogar zu betrunken, um es zu merken. Als sie überlegte, was sie jetzt tun sollte, stolperte er noch heftiger.
„Ich fühle mich ganz komisch“, sagte er. „Ich habe Kopfschmerzen.“ Er rieb sich den Hinterkopf. Als er die Hand hochhielt, waren seine Fingerspitzen rot.
Ihr Puls beschleunigte sich. Der Mann blutete.
Jenna stellte den Motor ab und sprang aus dem Truck. War er in eine Schlägerei verwickelt gewesen? Bei Betrunkenen kam das vor. Egal. Seine Verletzung musste versorgt werden.
„Der Verlobte meiner Cousine ist Arzt. Er lebt mit auf unserer Ranch. Ich glaube, er ist heute zu Hause. Wenn nicht, dann bringe ich Sie in seine Praxis.“
„Nein.“ Er wischte sich die Hände an der Hose ab. „Mir geht’s schon wieder besser.“
Ganz offensichtlich war das nicht der Fall. Sie legte einen Arm um seinen Rücken. Dabei fiel ihr auf, dass er nicht nach Alkohol roch. Dann war sein Zustand jedoch noch viel besorgniserregender. Wahrscheinlich war er wegen der Verletzung so benommen.
„Kommen Sie. Steigen Sie erst mal in den Truck.“
Es war gar nicht so einfach, ihn in den Wagen zu schaffen. Er war über eins achtzig, schlank und muskulös. Jenna war einen Kopf kleiner und zierlich.
Als sie ihn schließlich auf den Beifahrersitz bugsiert hatte, setzte sie sich wieder ans Lenkrad, griff nach ihrem Handy und rief Mike Sanchez an – den „Doc“, wie ihn alle nannten. Er war zum Glück auf der Ranch. Jenna bat ihn, ins Haupthaus zu kommen, weil sie einen verletzten Mann dabeihatte.
„Er hat eine Platzwunde am Hinterkopf. Ich kenne mich mit Verletzungen ja nicht aus, aber ich glaube, er hat eine Gehirnerschütterung. Ich habe ihn am Straßenrand gefunden.“
„Mach dir keine Sorgen, Jenna“, antwortete der Doc. „Bleib einfach ruhig und bring ihn her.“
„Schon unterwegs.“ Sie legte auf und fuhr los.
Der Cowboy sah sie an. „Hatten wir ein Date?“
Himmel, er war wirklich nicht ganz bei sich. „Ich bringe Sie zum Arzt. Schon vergessen?“
„Sie haben sehr schönes Haar.“ Er streckte die Hand aus, als ob er ihre blonden Locken anfassen wollte.
Jenna bekam Herzklopfen, doch er berührte sie nicht. Aber sie konnte sich vorstellen, wie sich das angefühlt hätte.
Beinahe. Sie konzentrierte sich auf die Straße.
„Sehr schönes Haar“, wiederholte er.
Um ihn davon abzuhalten, wieder nach ihrem Haar zu greifen, versuchte sie, ihn mit Fragen abzulenken. „Wie heißen Sie?“
Er runzelte die Stirn. Anscheinend wusste er seinen eigenen Namen nicht.
„Schon gut“